Todesstatte
Leichnam gepflanzt worden war, hatte eine Höhe von weniger als zwei Metern â eine junge Trauerweide mit schlanken, biegsamen Zweigen und einer Rinde, die in der Nachmittagssonne fast schon gelb aussah. Der Boden darunter wirkte beinahe unberührt. Das Erdreich würde bald mit Gras bewachsen sein, mit der Umgebung verschmelzen und zu einem Teil des jungen Waldes werden. Nur eine kleine, mit Draht am Stamm des Baumes befestigte Plakette verriet, dass es sich um ein Grab handelte.
Knapp fünfzehn Meter entfernt machte Fry am Zaun kehrt und ging über die Wiese zurück. Wie immer wirkte sie zwischen Bäumen merkwürdig fehl am Platz. Sie krümmte instinktiv die Schultern, um den Ãsten auszuweichen, als könnten ihre Blätter sie beiÃen. Cooper vermutete, dass Fry und die Natur in zwei verschiedenen Welten existierten, die keine Berührungspunkte hatten.
»Gibt es denn hier überhaupt keine SicherheitsmaÃnahmen?«, wollte Fry wissen.
Die Frau im schwarzen Hosenanzug gehörte der Verwaltung des grünen Friedhofs an. Sie sah Fry an und zog die Augenbrauen hoch. »SicherheitsmaÃnahmen? Wir brauchen hier keine SicherheitsmaÃnahmen.«
»Ach, tatsächlich? Vielleicht sollten Sie darüber noch einmal nachdenken. Wir schicken Ihnen jemanden vorbei, der Sie berät.«
Die Frau runzelte die Stirn und ging zu Vivien Gill, die inmitten einer Gruppe von Angehörigen und Freunden stand.
»Das ist doch bizarr, oder?«, sagte Fry, als sie mit Cooper allein war.
»Warum?«
»Na ja, nachdem der Leichnam ihrer Tochter einfach so in der Landschaft liegen gelassen wurde. Warum hat Mrs. Gill Audrey ausgerechnet hier beerdigen lassen? Da hätte sie sie ebenso gut dort lassen können, wo sie war.«
»Ich kann das schon verstehen.«
Cooper freundete sich immer mehr mit der Vorstellung einer sogenannten »grünen Bestattung« an. Warum sollte man einen Leichnam nicht einem sinnvollen Zweck zuführen, nachdem all das, was mit dem Körper nach dem Tod geschah, ohnehin unvermeidlich war? Hier spendeten Leichname Leben.
Der Verwalterin der Anlage zufolge entschlossen sich landesweit immer mehr Prominente für eine grüne Bestattung. Die geadelte Schriftstellerin Barbara Cartland hatte sich in einem Sarg aus Karton neben einer Eiche in ihrem eigenen Garten beerdigen lassen. Für Farmer stellte dieser Trend ebenfalls ein neues Standbein dar. Sie brauchten dafür nichts weiter als ein Stück Land, das nicht anderweitig verwendet wurde, und eine Baugenehmigung von der Gemeindeverwaltung.
Cooper hoffte nur, dass Matt diese Idee nicht zu Ohren kam. Er war ohnehin schon ziemlich schlecht auf seine Kollegen zu sprechen, die ihre Felder zweckentfremdeten. Golfplätze, Ferienhäuser, Angelseen â und jetzt auch noch Friedhöfe.
»ÃuÃerst ungesund, findest du nicht?«, sagte Fry.
»Siehst du das denn nicht?« Cooper deutete auf den Friedhof. In der Mitte bewegte die Trauerweide ihre schlanken Zweige, die sie schützend über das Grab zu ihren FüÃen hängen lieÃ. »Audrey Steeles Baum ist mehr als ein Andenken an sie. In gewisser Weise ist er sie. Er ist eine Fortsetzung ihres Lebens in einer anderen Form. Die Menschen, die hier beerdigt wurden, werden niemals tot sein. Nicht wirklich tot.«
»Tja, ich nehme an, so kann man es auch sehen.«
Sie gingen zum Auto zurück, das sie auÃer Sichtweite hinter den Bäumen geparkt hatten. Dann blieb Fry stehen, als sie eine der Gestalten im schwarzen Anzug sah.
»Ben, ist das einer von Audrey Steeles Verwandten?«
Cooper folgte ihrem Blick. Der Anzug des Mannes passte überhaupt nicht. Er war an den Schultern und am Bauch viel zu eng. Doch es handelte sich zweifellos um den Mann, der ihn an jenem Vormittag in Vivien Gills Haus gelassen hatte.
»Ja. Warum?«
»Ich erinnere mich, dass ich ihn vor Gericht gesehen habe.«
»Mir kommt er auch bekannt vor. Aber du hast bestimmt ein besseres Namensgedächtnis als ich.«
»Na ja, das war auch erst am Mittwoch«, sagte Fry. »Er saà bei meinem Mordprozess mit den Angehörigen des Angeklagten in den Besucherrängen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er der Bruder von Micky Ellis ist.«
23
A ls sie wieder in der West Street ankamen, hatte die Spurensicherung eine Bestandsaufnahme des Inhalts der Plastikdose gemacht. Abgesehen von den Buntstiften, der Sonnenbrille,
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