Todesstatte
Danke der Nachfrage.«
»Wenn ich irgendwas tun kann...«
»Nein, schon gut. Vielen Dank, Mrs. Shelley.«
Cooper hielt das Buch vor sich hoch und war sich nicht sicher, ob er es benutzte, um seine Vermieterin abzuwehren, oder ob er ihr damit zu verstehen geben wollte, dass er bereits hatte, was er wollte.
Als er wieder in seiner Wohnung war, holte er sich ein Bier und machte es sich mit der Bibel auf dem alten Sofa bequem. Dann kam ihm der Gedanke, dass es sich womöglich nicht schickte, Bier zu trinken, während man im Alten Testament las. Er zögerte einen Augenblick. Niemand würde es jemals erfahren, oder? Doch er hatte ein klares Bild von sich vor Augen, wie er mitten im Prediger Salomo Corona verschüttete. Wie es der Zufall wollte, würde der Fleck die Form einer gehörnten Ziege annehmen, die über die Seiten sprang, und Mrs. Shelley würde ihn aus der Wohnung werfen, weil sie ihn für einen SpieÃgesellen des Teufels hielt.
Er seufzte und stellte die Bierflasche beiseite. Randy nahm, fasziniert von Coopers ungewöhnlichem Verhalten, auf dem Teppich Platz.
»Das ist die Bibel«, sagte Cooper. »Du solltest sie mal lesen â vielleicht würdest du was daraus lernen. âºDu sollst nicht tötenâ¹, zum Beispiel.«
Der Kater blinzelte skeptisch und begann, sich konzentriert und genussvoll die Schnurrhaare zu putzen. Vermutlich trugen sie noch Blutspuren seines letzten Opfers.
Und hier war es â Prediger Salomo 3,1-5. Cooper las die ersten paar Zeilen leise vor, während Randy die Ohren spitzte, um nicht zu überhören, wenn von Futter die Rede war.
Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde: geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit; pflanzen hat seine Zeit, ausreiÃen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit; töten hat seine Zeit, heilen hat seine Zeit; abbrechen hat seine Zeit, bauen hat seine Zeit; weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit; klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit.
Das war natürlich zutreffend. Doch hatte Professor Freddy Robertson tatsächlich versucht, mit seiner Anspielung auf Prediger Salomo Coopers Aufmerksamkeit auf diesen Vers zu lenken, oder war Fry nur aufgrund ihrer unbegründeten Voreingenommenheit ihm gegenüber auf diese Idee gekommen?
Wenn es Robertsons Intention gewesen war, hatte sie sich als ein wenig zu raffiniert erwiesen. In diesem Fall hätte der Professor eine bessere Bibelkenntnis vorausgesetzt, als Cooper sie besaÃ. Und dann war da noch die Unterhaltung über Leichenräuber, die sie auf dem Kirchenfriedhof geführt hatten. Robertson hatte geglaubt, seine Bemerkungen über Aberglauben hätten Cooper gekränkt, obwohl dem nicht so war. Der Professor wusste eine Menge über viele Dinge, doch es mangelte ihm offenbar an Menschenkenntnis.
Cooper warf noch einmal einen Blick auf den Vers aus Prediger Salomo. Ein jegliches hat seine Zeit . Doch wofür war jetzt Zeit? Zeit zu töten? Zeit zu sterben?
Er vermutete, dass es keines von beiden war. Noch nicht. Der anonyme Anrufer dachte wahrscheinlich gerade an eine andere Zeile der Passage, während er irgendwo selbstgefällig und zufrieden in seinem Versteck saÃ. Womöglich überlegte er sich gerade eine weitere Botschaft, irgendetwas, das die Polizei auf Trab halten würde, das sie subtil auf die richtige Fährte führen würde oder auf eine völlig falsche. Vielleicht beschloss er aber auch gerade, sich eine Weile in Schweigen zu hüllen und sie schmoren zu lassen.
Cooper konnte beinahe seine Gedanken lesen. Es gab für alles den richtigen Zeitpunkt, dachte er vermutlich. Wie es weiter hinten in demselben Vers von Prediger Salomo hieÃ:
Schweigen hat seine Zeit, reden hat seine Zeit .
Diane Fry sah Angie beim Anziehen zu. Die Wohnung war zu klein, als dass sie ihr aus dem Weg hätte gehen können, und auÃerdem hatte ihre Schwester noch nie viel Schamgefühl besessen.
Als Teenager waren sie immer sehr offen zueinander gewesen, deshalb war Diane sich darüber im Klaren, dass sie diejenige sein musste, die sich in den vergangenen fünfzehn Jahren verändert hatte. Sie fragte sich, was sie am meisten verändert hatte. Welcher Aspekt ihres Lebens hatte dafür gesorgt, dass sie nicht in der Lage war, die Nähe zu ihrer Schwester zu genieÃen, um die sie so lange gekämpft hatte? Sie wusste, was es war, das ihr noch
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