Todesstatte
immer die meisten Albträume bescherte und den Schlaf raubte. Ihr Wegzug von Birmingham hatte diesen Schmerz nicht auslöschen können; er war ihr in ihren Träumen gefolgt.
»Wo gehst du hin, Schwester?«
»Weg.«
»Und wohin genau?«
»Einfach weg.«
Diane war sich bewusst, dass sie wie eine besitzergreifende Mutter klang, doch sie konnte sich einfach nicht beherrschen. Und ihr war klar, dass ihre Schwester es bei der Formulierung ihrer Antworten darauf anlegte, sie so klingen zu lassen. Angie war in dieser Hinsicht schon immer clever gewesen. Als Kind war sie die Manipulative von ihnen beiden gewesen, die genau wusste, wie man selbst die geduldigsten Pflegeeltern auf die Palme brachte.
»Mit wem triffst du dich?«, fragte Diane und versuchte, nicht allzu verzweifelt zu klingen.
Angie zog sich ein frisches T-Shirt an. »Mit jemand Nettem vielleicht.«
»Und du meinst, er wird noch genauso nett sein, nachdem er dich kennengelernt hat?«
Ihre Schwester lachte. »Wer sagt denn, dass es ein âºErâ¹ ist? Du kannst mich nicht reinlegen, Mrs. Detective.«
Diane verlor langsam die Geduld. »Komm schon, Angie, was soll die ganze Geheimnistuerei?«
Doch Angie ging zur Tür. »Wenn du ganz normal mit mir sprichst, erzähle ich es dir vielleicht morgen.«
Diane lieà sich aufs Sofa fallen, zog die Beine an und machte es sich für einen weiteren Abend allein bequem. Nach so vielen Jahren der Beherrschung konnte sie kaum glauben, wie oft sie jetzt Dinge sagte, die sie anschlieÃend bereute. Doch es gab Gedanken, die sich mit solcher Hartnäckigkeit in ihren Kopf drängten, dass sie sie einfach nicht für sich behalten konnte. Sogar Liz Petty hatte die Hand instinktiv auf ein Ventil gelegt, das nur darauf gewartet hatte, geöffnet zu werden, seit Diane die Abschrift der Telefonanrufe gelesen und Melvyn Hudson im Bestattungsunternehmen besucht hatte.
Was sie Petty nicht über den Basall-Heath-Fall erzählt hatte, war in gewisser Weise die schockierendste Tatsache von allen. Die Eltern des toten und verwesten Kindes hatten seiner Beerdigung beigewohnt und das gröÃte Blumengesteck von allen bestellt. Sie hatten eine groÃe Show daraus gemacht, ihr eigenes Opfer zu betrauern. Was hatte all das zu bedeuten gehabt? Sie würde es niemals herausfinden. Niemals.
Â
Â
Im Raj-Mahal-Restaurant in Hollowgate war sonntagabends wenig los, was Ben Cooper angenehm war. Er war als Erster gekommen â ein wenig zu früh sogar. Doch einer der Kellner kam rasch auf ihn zu.
»Mr. Cooper? Ein Tisch für zwei, nicht wahr?«
»Vielen Dank.«
Nachdem er sich an seinem Tisch niedergelassen hatte, sah er sich als Erstes unter den anderen Gästen um. Ãberall in Edendale bestand eine gefährlich hohe Wahrscheinlichkeit, dass er jemanden kannte oder dass ihn jemand kannte. Wenn er in unmittelbarer Nähe eines Kriminellen saÃ, den er irgendwann einmal verhaftet hatte, konnte das die Stimmung ziemlich ruinieren. Bewunderer seines Vaters oder Freunde von Matt waren unter Umständen ebenso peinlich.
Doch heute Abend hatte er Glück. Es waren nur wenige Gäste da, von denen er keinen kannte, und sie schienen alle zu sehr mit sich selbst beschäftigt zu sein, um ihm auch nur die geringste Aufmerksamkeit zu schenken. Cooper vergewisserte sich, dass sein Mobiltelefon eingeschaltet war, und stellte es auf Vibrationssignal. »Stabil« war schön und gut, aber er konnte es sich trotzdem nicht erlauben, nicht erreichbar zu sein, wenn das Krankenhaus anrief.
Dann widmete er sich eine Zeit lang der Speisekarte, weil er wusste, dass er Schwierigkeiten haben würde, sich zu entscheiden, was er essen sollte. Es handelte sich allerdings um eine der Speisekarten, von denen er guten Gewissens irgendetwas bestellen und sich trotzdem sicher sein konnte, die richtige Wahl getroffen zu haben. Und bei einem ersten Date galt es, die Verlegenheit zu überwinden und die Unterhaltung in Gang zu halten, um das Eis zu brechen, was es einem unmöglich machte, sich gleichzeitig auf die Speisekarte zu konzentrieren.
Er blickte zum Fenster hinaus, auf der StraÃe war jedoch nicht viel zu sehen. Die StraÃenlaternen der Hollowgate und die erleuchteten Fenster der Pubs am Market Square spiegelten sich auf dem nassen Asphalt wider und wurden vom Nieselregen gebrochen, der kurz vor Einbruch der Dämmerung eingesetzt hatte. Acht Uhr,
Weitere Kostenlose Bücher