Todesstatte
sie seinen Blick bemerkte und feststellte, dass er wie alle Leute Interesse zeigte.
»Nein. Fangen sie viele Fliegen?«
»Jedes Blatt kann drei Mahlzeiten fangen und verdauen, bevor es abstirbt«, erklärte Mrs. Askew. »Die Blätter können sich öffnen und schlieÃen, ohne etwas zu fangen, aber irgendwann haben sie sich verausgabt.«
»Nur drei Mahlzeiten in ihrem Leben? Unabhängig davon, wie groà sie sind?«
»Bei sehr groÃen Mahlzeiten ist die Anstrengung bei der Verdauung unter Umständen zu groÃ. Dann stirbt das Blatt ab und öffnet sich nie wieder.«
Cooper hatte Fliegen immer gehasst, doch jetzt stellte er fest, dass er Mitleid mit ihnen empfand â vor allem mit denjenigen, die halb verdaut in den Blättern einer sterbenden Pflanze gefangen waren.
Mrs. Askew deutete in das Terrarium.
»Da hinten ist ein Blatt, das vor ungefähr einer Woche eine Fliege gefangen hat. Es öffnet sich gerade wieder, sehen Sie?«
Cooper spähte zwischen den Zähnen der Venusfliegenfalle hindurch in ihr fleischiges Maul und sah, dass die Pflanze mit der Verdauung ihrer Mahlzeit fertig war. In dem Blatt befand sich nur noch die vertrocknete Hülle der Beute. Die zerbrechlichen Flügel der Fliege und die Schale ihres Thorax waren noch intakt, während ihre Körpersäfte vollständig ausgesaugt worden waren. Das Insekt war bei lebendigem Leib verdaut worden.
»Interessant, nicht wahr?«, sagte Mrs. Askew mit einem Lächeln.
Cooper drehte sich um und wagte es kaum, ihr ins Gesicht zu sehen. Ihn überkam abermals jenes ungute Gefühl â ein Unbehagen, ausgelöst von der unnatürlichen Faszination für den Tod.
»Mrs. Askew, ich muss jetzt wieder gehen«, sagte er. »Ich muss noch andere Leute aufsuchen.«
Sie wirkte enttäuscht. »Oh. Tja, wenn Sie müssen. Aber kommen Sie wieder vorbei, wenn Sie noch irgendwelche Fragen an mich haben.«
»Vielen Dank. Das werde ich tun.«
Sie blieb auf der Türschwelle stehen und sah ihm nach. Als Cooper in seinen Wagen stieg, blickte er zu ihr zurück und winkte. Er wünschte sich, Mrs. Askew würde nicht so viel lächeln. Der Anblick ihrer Zähne fing an, ihn zu beunruhigen.
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David Royce hatte die Urne mit der Asche seines Bruders irgendwo verstaut, konnte sich aber nicht mehr erinnern, wohin er sie geräumt hatte.
»Was ist in diesem Käfig?«, erkundigte sich Cooper, während er im Wohnzimmer wartete, bis Mr. Royce den Schrank unter der Treppe durchsucht hatte. Da der Käfig vollständig zugedeckt war, hätte er auch leer sein können. Doch Cooper glaubte, ein leises Schaben von Krallen hören zu können.
»Das ist Smoky. Ein Graupapagei.«
»Sie haben einen Papagei?« Cooper versuchte, sich daran zu erinnern, wann er das letzte Mal bei jemandem zu Hause einen Papagei gesehen hatte. Er hatte einmal einen gesehen, aber ihm fiel nicht mehr ein, wo es gewesen war. Und irgendwie schien David Royce überhaupt nicht der Typ zu sein, der einen Vogel im Käfig hielt. Ein groÃer Hund hätte vielleicht zu ihm gepasst â ein Rottweiler namens Tyson oder Satan. Aber ein Papagei?
»Meine Schwester hat mich gebeten, ihn zu nehmen«, sagte Royce, dessen Stimme im Schrank gedämpft klang. »Er hat vorher Jack gehört. Aber nachdem mein Schwager gestorben ist, hat sie es nicht mehr ertragen, den Vogel im Haus zu haben. Jack hat ihm das Sprechen beigebracht, wissen Sie. Und der Papagei hat seine Stimme perfekt kopiert. Glauben Sie mir, er klingt wirklich genau wie Jack.«
»Papageien können sehr gut Stimmen imitieren.«
»Gut? Das ist fast schon unheimlich. Tja, Joan hat es nicht ertragen, die Stimme ihres Mannes im Haus zu hören, da sie doch wusste, dass er tot ist. Das hat sie fertiggemacht, das arme Mädchen. Jedes Mal, wenn sie nach Hause gekommen ist, hat sie seine Stimme gehört. Ich wollte ihn eigentlich nicht haben, aber ich konnte doch nicht ablehnen, oder?«
»Was sagt er denn alles?«
»Ich würde nicht gerade behaupten, dass er einen groÃen Wortschatz hat«, sagte Royce.
Er kam ins Zimmer zurück und nahm die Abdeckung vom Käfig. Der Papagei öffnete die Augen und sah Cooper an.
»Hallo, Schatz«, sagte er. »Wo ist Jack?«
Dann richtete er seine ganze Aufmerksamkeit darauf, sich mit den Krallen eines FuÃes unter den Federn zu kratzen, und
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