Todesstatte
Royce widmete sich wieder seiner Suche.
»War das alles?«
»Na ja, ich habe nicht versucht, ihn in ein Gespräch zu verwickeln«, sagte Royce. »Aber manchmal sagt er âºScheiÃeâ¹, wenn ihm nicht gefällt, was im Fernsehen läuft.«
»Und kommt das oft vor?«
»Ja.«
»Papageien leben viel länger als Menschen, nicht wahr?«, sagte Cooper.
»Tatsächlich?« Royce klang überrascht. »Verdammt. Ich hatte gehofft, dass er demnächst das Zeitliche segnen würde, so wie die Hamster meiner Kinder.«
»Papageien können über hundert Jahre alt werden. Winston Churchill hatte auch einen, und der ist erst letztes Jahr gestorben. Er ist hundertfünf geworden.«
»Ich wette, Churchill hat seinem Papagei nicht beigebracht, âºScheiÃeâ¹ zu sagen.«
»Da wäre ich mir nicht so sicher.«
Cooper ging hinaus in den Hausflur, um nachzusehen, wie David Royce vorankam. Er hatte alle möglichen Sachen aus dem Schrank geräumt: Spielzeug, Schuhkartons, einen Ersatzfernseher, ein Bügelbrett.
»Ich denke, sie ist vielleicht im ersten Stock«, sagte Royce.
»Kann ich Ihnen beim Suchen helfen?«
»Ja, nehmen Sie sich einen Kleiderschrank vor.«
Nach weiteren zehn Minuten kam Royce zu dem Schluss, dass sie die Asche im Garten verstreut und die Urne weggeworfen haben mussten.
»Tut mir leid«, sagte er.
»Nicht weiter schlimm.«
Cooper ging zurück ins Wohnzimmer. Zumindest der Papagei erinnerte sich an seinen Besitzer, auch wenn er ihn überlebt hatte. Da er noch recht jung war, würde er vielleicht alle überleben, die derzeit in Derbyshire wohnten. Winston Churchills Papagei hatte nicht nur seinen Besitzer überlebt, sondern noch neun weitere Premierminister, bis hin zu Tony Blair. In den Augen eines Papageis kamen und gingen Menschen vermutlich wie Fliegen im Sommer.
Als Cooper am Käfig vorbeiging, hörte der Papagei auf, sich zu kratzen, und fixierte ihn mit strengem Blick.
»ScheiÃe«, sagte er. »Wo ist Jack?«
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Im nächsten Haus standen eine Reihe unterschiedlicher Stühle mit aufrechter Lehne am Erkerfenster, als seien sie für das Publikum einer Vorstellung aufgestellt worden. Dann bemerkte Cooper, dass weitere nicht zusammenpassende Möbelstücke zwischen das Sofa und die Sessel gezwängt worden waren: ein schmiedeeiserner Stuhl aus dem Wintergarten, ein Bürodrehstuhl und ein flacher, weicher Sitzhocker, den seine Mutter als »Pouffe« bezeichnet hätte. An der gegenüberliegenden Wand stand ein langer Tisch. Er war mit Tellern und Schüsseln vollgestellt, die in Frischhaltefolie eingewickelt oder mit Trockentüchern zugedeckt waren.
»Ich hoffe, ich störe nicht«, sagte er. »Komme ich ungelegen?«
»Meine Mutter wird heute beerdigt. Aber es ist schon in Ordnung, wir haben bereits alles vorbereitet«, sagte Susan Dakin.
»Kommen die Trauergäste nach der Beerdigung hierher?«
»Selbstverständlich. Wir wissen noch nicht genau, wer auftauchen wird. Ich nehme nicht an, dass es viele sein werden.«
Es hatte den Anschein, als bereiteten sich die Dakins auf eine Party vor. Früher hatte ein Todesfall für Stille im Haus und für gedämpfte Stimmen gesorgt. Hier jedoch nicht. Susan Dakin schien zufrieden zu sein, dass ihre Mutter ihrem Vater Gesellschaft leisten würde, wohin auch immer er gegangen war.
Später fuhr Cooper noch zu einem Bungalow in Southwoods, in dem zwei alte Frauen mit Dauerwelle saÃen und Pralinen in Seepferdchenform aÃen. Sein Besuch galt Eheleuten aus Hucklow, die ihre Tochter bei einem Verkehrsunfall verloren und nie wieder davon gesprochen hatten, seit sie ihre Asche auf der Koppel verstreut hatten, auf der ihr Pony noch heute graste.
»Meine GroÃmutter hat immer gesagt, man sollte als Zeichen des Respekts die Vorhänge zuziehen und die Spiegel abdecken«, sagte eine der alten Frauen und leckte sich Schokolade vom Finger. »Aber ich halte das schlichtweg für Blödsinn. Das Leben geht doch weiter, nicht wahr?«
»Sie lebt in meinem Herzen weiter«, sagte die Mutter des Kindes. »Jeden Tag.«
In einem Haus in der Manchester Road traf er eine Mutter mit ihrer Tochter an, die beide abgeschnittene Jeans, FuÃkettchen und einen Ring im rechten Nasenflügel trugen. Man hatte beinahe den Eindruck, als wollten sie wie Schwestern aussehen. Doch
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