Todesträume am Montparnasse - Ein Fall für Kommissar LaBréa
das Foto geschossen, das uns vorliegt?«, wollte Franck wissen.
»Der Wirt des Lokals, mit Kerkhoves Kamera.«
»Wie gut kannte Kerkhove Masson?«, fragte LaBréa nach.
»Sie waren Regimentskameraden. Kerkhove kam nach seiner Grundausbildung 1990 nach Nîmes. Gemeinsam wurden sie dann Ende 1990 zur Division Daguet abkommandiert. Er hat sich sehr positiv über Masson geäußert. Ein feiner Kerl sei er gewesen und sein bester Kamerad. Kerkhove hat ihn offensichtlich wegen seiner ruhigen Art und seiner soldatischen Haltung immer bewundert.«
»Ruhige Art ist gut«, murmelte Franck. »Klingt ein bisschen unpassend bei jemandem, der zweimal wegen schwerer Körperverletzung verurteilt wurde.«
»War das alles, Claudine?«, fragte LaBréa.
»Im Großen und Ganzen ja. Dass Masson auf so brutale Weise ermordet wurde, hat Kerkhove sehr getroffen. Er fand übrigens keine Erklärung dafür, wo Masson von 1991 bis 1999 gewesen sein könnte. Nach dem Camerone hat er nie wieder etwas von ihm gehört.«
Franck wunderte sich.
»Und wohin hat er dann das Foto geschickt?«
»Masson hatte Kerkhove eine postlagernde Adresse in Marseille gegeben. Dahin schickte dieser das Foto. Aber Masson hat sich nicht einmal bedankt.«
»Das heißt also«, meinte Franck, »dass Masson nach dem Camerone auf jeden Fall noch einmal in Frankreich gewesen sein muss. In Marseille, um seine Post abzuholen.«
»Nicht unbedingt«, erwiderte Claudine. »Die Post kann auch jemand anders abgeholt und ihm irgendwohin nachgeschickt haben.«
»Hat Kerkhove Ihnen gesagt, in welcher Sprache Masson und Stéphane Blanc miteinander gesprochen haben?«, wollte LaBréa wissen.
»Ja, ich habe ihn extra danach gefragt. Er meinte, sie hätten sehr wenig miteinander gesprochen. Und wenn, dann in einer slawischen Sprache, von der Kerkhove kein Wort verstanden hat. Im Übrigen habe ich Kerkhove natürlich auch gefragt, ob er den Boléro von Ravel kennt, und ob ihm zu dieser Musik etwas Besonderes einfällt. Leider Fehlanzeige. Er kannte weder das Stück, noch brachte er irgendetwas damit in Verbindung.«
LaBréa seufzte.
»Tja, da kann man nichts machen. Was die Lücke von acht Jahren in Massons Lebenslauf betrifft, tappen wir weiterhin im Dunkeln. Nach dieser Aussage von Kerkhove scheint es mir allerdings nicht unwahrscheinlich, dass Masson seinen Freund Stéphane erst nach seinem Ausscheiden aus der Legion kennengelernt hat.«
»Fragt sich nur, wo?«, warf Franck ein. »Die Balkanländer hatten sich doch gerade zu der Zeit vom Kommunismus befreit, die Leute konnten endlich reisen. Dieser Stéphane kann irgendwo im Ausland mit Masson zusammengetroffen sein.«
»Nicht alle Balkanländer hatten sich Anfang der Neunzigerjahre bereits vom Kommunismus befreit. Jugoslawien zum Beispiel nicht.« Claudine blickte Franck und LaBréa bedeutungsvoll an. »Dort herrschte Bürgerkrieg.«
Einen Moment war Stille im Raum. Vom Quai des Grands Augustins drang das Brausen des abendlichen Verkehrs herein. LaBréa überlegte, dann sagte er:
»Richtig, Claudine, dort war Krieg ausgebrochen! Die Serben gegen die muslimischen Bosnier. Ethnische Säuberungen, Massaker …«
Dann klingelte Claudines Handy. Sie entschuldigte sich kurz und nahm das Gespräch an. Nach wenigen Sekunden fragte sie:
»Europaweit? Umfasst das auch die Balkanstaaten? Aha, ja, danke.« Sie stellte das Handy aus.
»Das war der Rückruf wegen des internationalen Haftbefehls«, erklärte sie. »Es liegt keiner gegen Stéphane Blanc vor. Er wird auch nicht von einem der Balkanstaaten gesucht. Die Kollegen haben Blancs Fingerabdrücke übermittelt, die Sache ist eindeutig geklärt.«
Franck blickte auf die Uhr.
»Jean-Marc meldet sich ja gar nicht. Er wollte sich doch in der Kneipe am Montmartre umhören. Na ja, wenn er was Wichtiges rausgefunden hätte, wüssten wir es schon. Liegt noch etwas an, Chef? Sonst würde ich heute mal früher Schluss machen.«
»Ja, ja, ich weiß, Franck. Ihr Abendessen mit Dr. Clément. Oder hat es mit der Verabredung nicht geklappt?«
»Doch, hat es.« Franck wirkte etwas verlegen. »Deswegen frage ich ja.«
»Meinetwegen können Sie gehen. Aber seien Sie bitte jederzeit erreichbar.«
»Selbstverständlich, Chef!« Franck verließ LaBréas Büro.
Als die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen war, sagte Claudine plötzlich:
»Ich hätte da so eine Idee, Chef. Vielleicht hat dieser Stéphane Blanc sich ja im Bosnienkrieg etwas zuschulden kommen lassen, ist ein
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