Todeswald
aufs Gas trat.
Ich konnte Mikaelas Stiefvater auf keinen Fall verraten, dass ich vorgehabt hatte, denselben Weg wie Mikaela zurückzulegen, weil ich die Wahrheit über ihren Tod herausfinden wollte.
„Raten Sie mal“, sagte ich.
Er verzog einen Mundwinkel zum Lächeln.
„Joggen?“
Er deutete mit dem Zeigefinger auf seine Stirn.
„Köpfchen!“, fuhr er fort. „Aber ehrlich gesagt bist du erstaunlich lahm dahergehoppelt.“
„Ich hatte mein Pensum erledigt.“
„Na, dann war es ja ein Glück, dass ich vorbeikam. Der Rückweg ist lang.“
„Ich wollte zum Bus.“
Vielleicht war genau das hier auch Mikaela passiert! Irgendein Autofahrer hatte angehalten und ihr angeboten, sie mitzunehmen. Konnte dieser jemand eventuell … Samuel Wester gewesen sein?
Aber wie war es dann weitergegangen?
Wahrscheinlich zuckte ich zusammen.
„Was ist?“, fragte er.
„Äh, ich … nichts. Fahren Sie oft diesen Weg?“
„Jeden Tag. Ich arbeite in Salem.“
Bei der Ampel bogen wir auf die Schnellstraße ein.
„Was sagt deine Mutter dazu, dass du so spät noch so weit weg unterwegs bist?“
„Die hat bestimmt nicht mal gemerkt, dass ich fort bin.“
„Ach so?“, sagte er und warf mir einen seltsamen Blick zu.
Ich dachte an den Streit, den ich belauscht hatte, und bereute, dass ich in sein Auto gestiegen war und einfach losgeplappert hatte. Jetzt wusste er, dass niemand mich in den nächsten Stunden vermissen würde.
Wir näherten uns der verlassenen geraden Strecke. Schon bevor er den Blinker setzte, begriff ich, dass er nach links auf den Schotterweg einbiegen würde. Linus und ich hatten sein Auto ja dort gesehen.
Wir ließen die Straßenlampen hinter uns und fuhren geradewegsin die Dunkelheit hinein. Ich versuchte meine Unruhe zu unterdrücken, doch das gelang mir nicht.
„Dieser Kalle Svensson, macht der seine Sache gut?“, fragte ich tollkühn.
„Welcher Kalle Svensson?“
„Der mit der Autowerkstatt. Hatte Ihr Wagen eine Beule oder war irgendwas anderes kaputt?“
„Was sagst du da, verdammt noch mal?!“
Er fuhr plötzlich an den Wegrand und hielt an.
Vor lauter Angst hätte ich fast in die Hose gemacht. Mein Herz hämmerte wie wild. Warum hatte ich nicht den Mund gehalten?
Ich überlegte, ob ich mich aus dem Auto werfen und davonrennen sollte. Dennoch blieb ich sitzen. Schließlich war das hier bloß Samuel Wester, unser Nachbar.
Er wandte sich zu mir um und sah mich mit finsterem Blick an.
Ich tastete verstohlen nach dem Türgriff, bereit zu fliehen. Aber plötzlich wurde die Windschutzscheibe von Scheinwerfern erhellt. Ein Auto fuhr auf uns zu und bremste. Ich erkannte das Auto. Ein roter Toyota. Der Fahrer hupte und ließ das Seitenfenster herunter. Ein Kopf wurde herausgestreckt.
Der Kopf gehörte Grankvist, dem anderen Nachbarn von Mikaelas Mutter. Er hat zwei Kinder im Kindergartenalter.
Samuel Wester brummte irritiert, ließ aber sein Seitenfenster herunter.
„Alles in Ordnung?“, fragte Grankvist.
Er spähte zu Wester hinüber, fand wohl, dass das hier eine eigenartige Stelle zum Anhalten war.
„Mhm“, antwortete Samuel Wester.
Jetzt hatte ich meine Chance, abzuhauen, aber die Dunkelheit draußen sah einfach zu kompakt aus. Da kam mir eine Idee. Falls Samuel Wester wirklich etwas Bedrohliches im Sinn hatte, würde er das wohl kaum ausführen, nachdem ein Zeuge mich in seinem Auto gesehen hätte.
Ich lehnte mich vor und begann eifrig zu winken. Grankvist schienüber meine plötzliche Herzlichkeit erstaunt zu sein, winkte aber brav zurück. Gleich fühlte ich mich viel sicherer. Jetzt würde Samuel Wester kaum wagen, mir etwas anzutun. Für dieses Mal.
„Hör mal, das mit eurem Mädel, das tut mir verdammt leid“, sagte Grankvist.
„Mhm.“
„Anna hatte eigentlich vor, euch zu besuchen, aber das ist wohl noch zu früh?“
„Mhm.“
„Vielleicht Blumen?“
„Das würde Bettan bestimmt schätzen.“
„Wisst ihr schon … wer …?“
„Nein.“
Samuel Wester schluckte mehrmals hörbar und ließ dann die Scheibe wieder hochfahren. Er startete den Motor und fuhr los.
Zwar zitterte ich immer noch vor Angst, aber ich gab mir Mühe, es zu verbergen. Die Gefahr war vorbei. Das heißt, wenn ich mich überhaupt in Gefahr befunden hatte.
Keiner von uns sagte noch etwas.
Samuel Wester fuhr in seine Garageneinfahrt. Als er den Motor ausmachte, drehte er sich zu mir um und holte Luft, um etwas zu sagen.
„Hör mal, Svea, ich wollte …“
Ich presste die
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