Todeswatt
ergriffen. Es war, als umfasse eine eiskalte Hand ihr Herz.
Das muss sie sein, dachte Marlene, holte tief Luft und ging der Frau entgegen.
*
»Kannst du mir mal sagen, was los ist?«
Inken Matthiesen hatte sich vor dem Küchentisch aufgebaut und schaute ihren Mann vorwurfsvoll an. Der saß zusammengesunken auf der Eckbank und starrte abwesend in seinen Kaffeebecher.
»Ich war gestern einkaufen.«
Sönke Matthiesen hob leicht seinen Blick. »Und?«, erwiderte er und versuchte dabei, möglichst belanglos zu klingen. Es war schließlich nichts Ungewöhnliches, wenn seine Frau sich um die Besorgungen für den Haushalt kümmerte. Dennoch ahnte er, was passiert war.
»Und?« Sie trat einen Schritt näher an den Tisch heran und hob die Stimme. »Und? Meine EC-Karte ist gesperrt. Ich konnte die Rechnung nicht bezahlen. Weißt du, wie peinlich das war?«
Er konnte sich nur zu gut vorstellen, wie unangenehm die Situation für seine Frau gewesen sein musste. Zumal solch ein Vorfall in dem kleinen Supermarkt im Dorf von den anderen Kunden nicht unbemerkt blieb. Außerdem war die Kassiererin einem Tratsch nie abgeneigt. Wahrscheinlich wusste längst das halbe Dorf, dass Familie Matthiesen kein Geld mehr hatte.
»Ich musste den Wagen mit den Einkäufen stehen lassen und bin dann zur Bank. Hab erst gedacht, mit der Karte stimmt etwas nicht. Aber weißt du, was Frau Neubert zu mir gesagt hat, als ich Bargeld abheben wollte?«
Er zuckte leicht zusammen. Das Konto war gesperrt. Gestern hatte er den Brief von der Bank erhalten.
»Sie hat gesagt, sie könne mir leider kein Geld mehr auszahlen. Das Konto sei überzogen.«
Er stand auf und ging langsam zur Spüle, um den kalt gewordenen Kaffee wegzuschütten. In Gedanken suchte er fieberhaft nach einer Ausrede. Er konnte ihr unmöglich sagen, dass die Firma fast bankrott war und sie kein Geld mehr hatten. »Ach so, das«, er räusperte sich und beschäftigte sich intensiv mit der Reinigung der Tasse. »Ich warte auf mehrere Eingänge. Ein paar Auftraggeber haben noch nicht bezahlt.«
»Und ist das auch der Grund, warum du diesen Unternehmensberater engagiert hast?«
Er drehte sich erstaunt um. Zwar hatte er ihr flüchtig von seinem Auftrag an Tom Meissner erzählt, doch als sie nun den Unternehmensberater mit dem gesperrten Konto in Verbindung brachte, wurde ihm klar, sie konnte eins und eins zusammenzählen.
»Er will ein paar optimierende Maßnahmen durchführen«, erklärte er und erwähnte ein paar bilanztechnische sowie handelsspezifische Fachbegriffe, mit denen sie nichts anfangen konnte. Aber so leicht ließ sie nicht locker.
»Hast du deswegen auch noch Lars entlassen?«
Er schluckte. Woher wusste sie davon? Sie hatte sich sonst nie um die Firmenangelegenheiten gekümmert. »Wir haben einen vorübergehenden Engpass. Sofern wir wieder mehr Aufträge rein bekommen, stelle ich ihn sofort wieder ein. Das habe ich ihm zugesichert.«
Das habe der ehemalige Mitarbeiter ihr aber ganz anders erzählt, als sie ihn beim Arzt getroffen hatte. »Du hast ihm geraten, sich krankschreiben zu lassen.«
»Ja, aber nur vorübergehend.« Jedenfalls war das sein Plan gewesen. Er hatte den Fahrer nicht entlassen wollen, sondern gedacht, durch die Krankschreibung einige Zeit überbrücken zu können. Immerhin hätte die Krankenkasse nach sechs Wochen die Zahlungen übernommen und Lars Schwensen seinen Job behalten. Wenn die nächsten Aufträge reingekommen wären, hätte er den Mann sofort wieder beschäftigt. Doch nach den Börsenverlusten und dem geplatzten Geschäft hatte er keine Hoffnung mehr, den Mitarbeiter in naher Zukunft wieder einzustellen. Die Kündigung war in seinen Augen mehr als fair gewesen, denn nun wusste Lars Schwensen wenigstens, woran er war und konnte sich zeitnah nach einem neuen Job umsehen. Der ehemalige Mitarbeiter sah das aber ganz anders.
»Warum hast du ihn dann trotzdem rausgeschmissen?« Inken schüttelte den Kopf. Sie verstand ihn nicht. War es denn wirklich so schlecht um die Firma bestellt?
Sönke Matthiesen starrte auf den Boden. Er brachte es einfach nicht fertig, ihr die Wahrheit zu sagen. Er hatte sich ohnehin schon in ein Geflecht aus Lügen und Ausreden verstrickt und wusste einfach nicht, wie er sich daraus befreien sollte.
»Der Meissner hat es mir empfohlen.«
*
›Selbstmord oder Mord? Toter im Watt vor Pellworm gefunden.‹
Thamsen blätterte in den Husumer Nachrichten, in denen bereits ausführlich über die
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