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Todeswatt

Todeswatt

Titel: Todeswatt Kostenlos Bücher Online Lesen
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üblich verabschiedet haben und erst anschließend umgebracht worden sein. Vermutlich würde ihn zunächst niemand vermissen. Wenn er Urlaub hatte, fiele seinem Vorgesetzten und den Kollegen sein Fernbleiben gar nicht auf.«
    »Und was ist mit der Familie?«
    »Wahrscheinlich lebt er allein.«
    Funke hatte heftig mit dem Kopf geschüttelt. Seine blonden Locken wurden dabei völlig durcheinandergewirbelt. »Das meine ich nicht. Den Eltern müsste doch auffallen, wenn er plötzlich weg ist.«
    »Was heißt denn plötzlich weg?« Thamsen hatte den jungen Kollegen irritiert angeblickt. »Erst einmal wissen wir ja gar nicht, wie lange er überhaupt tot ist. Und außerdem, wenn er nicht mehr daheim lebt, wie kriegen dann die Eltern mit, wenn er nicht nach Hause kommt? Oder rufst du deine Mutter täglich an?«
    Sein Gegenüber war plötzlich intensiv mit der Inspizierung des Fußbodens beschäftigt. Der dunkelgraue Linoleumbelag hatte schon bessere Zeiten gesehen.
    »Hier ist das halt ein wenig anders.« Es war ihm sichtlich unangenehm, vor Thamsen als scheinbar hinterwäldlerisch dazustehen.
    Der konnte sich allerdings sehr gut vorstellen, wie sich das Leben auf der 37,44 Quadratkilometer großen Insel gestaltete. Durch den acht Meter hohen Deich abgeschottet von der Außenwelt, ließ man innerhalb der Gemeinschaft mehr Achtsamkeit walten, und schenkte dem Nachbarn eine weitaus größere Aufmerksamkeit, als diesem vielleicht recht war, erfuhr Dinge, die derjenige, den sie betrafen, lieber für sich behalten hätte.
    Doch wesentlich anders war es in Niebüll nicht. Auch wenn dort im Vergleich zu Pellworm deutlich mehr Menschen lebten, war die Stadt dennoch wie ein Dorf. Jeder kannte so gut wie jeden und wenn man sich einmal daneben benahm, wusste am nächsten Tag unter Garantie die halbe Einwohnerschaft von dem peinlichen Ausrutscher. Er erinnerte sich nur ungern an den Abend bei seinem Lieblingsgriechen, an dem seine Exfrau lautstark vor allen Gästen über seine ihrer Ansicht nach jämmerlichen Bettkünste gelästert hatte. Bereits am nächsten Morgen machte sich bei ihm der Eindruck breit, sämtliche Leute in der Stadt grinsten ihn an und er hätte schwören können, mindestens die Hälfte der Nachbarschaft wusste über seine angebliche Impotenz Bescheid. Aber gut, das ließ sich eben nicht vermeiden, wenn man in einer ländlichen Gegend wohnte.
    Demnach hatte Funke wahrscheinlich sogar recht. Arne Lorenzens nicht erfolgte Rückkehr musste relativ schnell auffallen.
    »Wir werden mal sehen, was morgen die Obduktion ergibt. Dann wissen wir mehr«, hatte Thamsen die spekulative Diskussion beendet. Es brachte ja nichts, wenn sie ohne jeglichen Hinweis, ob der Tote tatsächlich ermordet worden war, ins Blaue hinein rätselten. Seiner Ansicht nach war es zum jetzigen Zeitpunkt völlig ausreichend, wenn sie auf der Insel einige Auskünfte – zum Beispiel bei Jens Bendixen – einholten und erst dann mit den eigentlichen Ermittlungen loslegten, wenn feststand, dass sie es tatsächlich mit einem Mord zu tun hatten. Alles andere war reine Zeitverschwendung.
    Wenn es nach ihm ginge, wäre er sowieso noch am selben Tag zurück aufs Festland gefahren. Auch wenn er sich ansonsten lieber vor der unangenehmen Aufgabe drückte, den Angehörigen die traurige Botschaft über den Tod eines Familienmitglieds zu überbringen, erschien es ihm in diesem Fall bezüglich eventueller Hinweise vielversprechender. Vielleicht kannten die Eltern den Grund für Arne Lorenzens Aufenthalt auf Pellworm. Oder sie wussten etwas über einen Streit, den der Sohn in der letzten Zeit mit irgendjemandem gehabt hatte. Diese Anhaltspunkte waren sicherlich hilfreicher für die polizeilichen Ermittlungen als Aussagen eines durch den Leichenfund schockierten Inselbewohners.
    Außerdem hätte er dann den Abend zu Hause verbringen und sich um seine Kinder kümmern können. Stattdessen saß er nun hier in einer kleinen Pension in der Nähe des seit 1907 in Betrieb genommenen Leuchtturms und versuchte, seiner Mutter am Telefon zu erklären, warum er nicht nach Hause kam und zudem nicht genau sagen konnte, wann er Anne und Timo bei den Großeltern wieder abholen konnte.
    »Ich weiß ja, das kommt ein wenig plötzlich. Aber ich sitze hier fest. Die letzte Fähre hat um 17.30 Uhr abgelegt«
    Er starrte auf die gegenüberliegende Wand. Das Muster der Tapete war sicherlich einst sehr modern gewesen – schätzungsweise in den 60er- oder 70er-Jahren. Die bunten Formen hatten

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