Todeswatt
Schreibtisch.
»Warum rufst du ihn nicht einfach an und fragst nach?« Die Unstimmigkeiten würden ihm keine Ruhe lassen. Da brauchten sie gar nicht erst mit den Planungen für ihre Hochzeitsreise zu beginnen. Sie kannte ihn. Er würde zu all ihren Vorschlägen nur stumm nicken und mit seinen Gedanken woanders als auf den Malediven oder Fidschi-Inseln sein, solange er nicht geklärt hatte, wo das Geld geblieben war.
»Meinst du, ich kann da jetzt noch anrufen?«
»Warum denn nicht? Schließlich geht es um die Rettung der Firma.« Da konnte man von dem Inhaber Einsatz und Unterstützung erwarten.
Tom nahm den Hörer des schwarzen Tastentelefons in die Hand und tippte die Nummer der Spedition. Doch selbst nach dem zehnten Klingeln nahm niemand ab.
»Vielleicht schon zu spät«, kommentierte er und legte auf.
»Dann ruf ihn halt zu Hause an.«
Wieso sollte Tom sich bis spät abends den Kopf darüber zerbrechen, wie und ob dem Unternehmen zu helfen war, während der Geschäftsführer rechtzeitig Feierabend machte und nach Hause ging?
»Aber die Privatnummer habe ich gar nicht.« Marlene stöhnte entnervt und öffnete die oberste Schublade des Sekretärs.
»Will du Nummer? Mut du nachschlagen.« Sie reichte ihm grinsend das Telefonbuch.
»Haha.« Er streckte ihr die Zunge raus, war aber nicht wirklich beleidigt. Im Grunde genommen liebte er genau diesen Wesenszug an ihr – neben diversen anderen. Diese unkomplizierte Art und die Leichtigkeit, mit der sie Probleme anging, war entwaffnend, sofern es nicht ihre eigenen waren, denn dann konnte sie manchmal äußerst umständlich und schwierig sein. Aber in Situationen wie dieser war sie eher praktisch veranlagt.
Er schlug das Buch auf und suchte nach dem entsprechenden Eintrag. Wieder blickte er auf seine Uhr, griff letztendlich doch zum Telefonhörer und wählte die angegebene Nummer.
»Ja, hier Meissner. Entschuldigung.« Er war etwas überrascht, als bereits nach dem ersten Freiton abgehoben wurde. Matthiesens Frau musste geradezu neben dem Telefonapparat gesessen haben. »Ist Ihr Mann zu sprechen?«
Marlene beobachtete ihn. Den Hörer fest ans Ohr gepresst, veränderten sich seine Gesichtszüge zusehends. Falten bildeten sich auf seiner Stirn, die Augen verengten sich dadurch und seine Stimme dominierte ein ungewöhnlicher Unterton, als er sagte: »Gut, dann probiere ich es morgen noch einmal. Vielen Dank!« Er legte langsam den Hörer auf. »Komisch«, murmelte er dabei.
Marlene blickte ihn fragend an und wartete auf eine Erklärung, die jedoch ausblieb. Tom schien sich in Gedanken mit etwas zu beschäftigen, was ihr verborgen blieb.
»Was ist?«, fragte sie ungeduldig.
»Ich weiß nicht.« Tom fuhr sich mit der Hand übers Kinn. Er hatte sich zwar wie jeden Morgen rasiert, aber bei seinem starken Bartwuchs hatten sich längst wieder Stoppeln gebildet, die durch die Berührung ein leicht kratzendes Geräusch verursachten.
Sönke Matthiesen lag laut seiner Frau bereits im Bett. Angeblich ginge es ihm nicht gut, rückte Tom endlich mit dem Inhalt des Telefonats raus.
»Vielleicht hat ihn auch die Grippe erwischt. Hat Haie nicht erzählt, das halbe Dorf läge flach?«
Er stimmte ihr zu. Natürlich konnte die Krankheitswelle auch den Spediteur erwischt haben. »Wahrscheinlich hast du recht und es ist nichts weiter«, pflichtete er Marlene deshalb bei. Aber er war nicht wirklich überzeugt.
*
Dirk Thamsen hatte mit seinem Pellwormer Kollegen lange zusammengesessen und die nächsten Schritte besprochen.
Morgen früh wollten sie als Erstes noch einmal ins Watt hinausfahren. Sie erhofften sich zwar nicht irgendwelche Spuren zu finden – das auf- und ablaufende Wasser würde sowieso jegliche Hinweise weggespült haben –, aber Dirk wollte sich ein genaues Bild von dem Ort machen, an dem die Leiche entdeckt worden war. Außerdem konnte er anhand der Strömungskarten gleich festhalten, ob der Tote aus west- oder östlicher Richtung angeschwemmt wurde.
Anschließend stand die Befragung von Jens Bendixen an, dem Entdecker des grausigen Fundes. Sollten sie danach noch keine Nachricht aus Kiel oder Flensburg erhalten haben, wollten sie beginnen, die Einwohner nach Arne Lorenzen zu befragen. Irgendjemand musste ihn ja gesehen haben. Vielleicht hatte er auch Bekannte oder Freunde auf der Insel.
»Aber würden die ihn nicht längst als vermisst gemeldet haben?«, hatte Björn Funke zu bedenken gegeben.
»Nicht unbedingt.«
»Arne Lorenzen könnte sich wie
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