Todeswatt
ein wenig Unterstützung und da bin ich eingesprungen.«
»Is’ ja wieder typisch«, knurrte sein Vater und öffnete die bauchige Flasche, die wie jeden Abend vor ihm auf dem Tisch stand. Seit Dirk denken konnte, trank sein Vater zum Abendessen ein Bier. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Der alte Flaschenöffner hatte die Form eines Segelschiffes und war ein Erinnerungsstück an seine Zeit bei der Marine.
»Ist die Polizei so unterbesetzt, dass du jetzt sogar bezirksübergreifend arbeiten musst? Wofür zahlen wir denn eigentlich Steuern?«
Thamsen verkniff sich die boshafte Bemerkung, die ihm förmlich auf der Zunge lag. Sein Vater war seit Jahren Rentner, sein Beitrag, den er zum Gemeinwohl der Einwohner dieses Landes beisteuerte, durfte demzufolge eher gering ausfallen. Dass die Erfahrungen und die ausgezeichnete Qualität der Arbeit seines Sohnes der Auslöser für die Entscheidung der Kollegen von der Kripo gewesen sein könnten, ihn zu dem Fall hinzuzuziehen, kam dem Vater natürlich nicht in den Sinn.
Das Essen lief wider Dirks Erwartungen ohne weitere Anfeindungen seitens Hans Thamsens ab. Anne berichtete stolz von einer Eins im Diktat und auch Timo hatte eine gute Note geschrieben. Als sie endlich aufbrachen, war es an sich ein schöner Abend gewesen und Thamsen hatte es mehr als genossen, einmal etwas Zeit mit der Familie – insbesondere seinen Kindern – zu verbringen.
Am nächsten Morgen brachte er Timo und Anne zur Schule und fuhr anschließend sofort ins Büro.
»Moin, Dirk«, begrüßte sein Kollege Gunther ihn hustend. Offenbar hatte er die Krankheit noch nicht ganz auskuriert. Er trug einen grobmaschigen Schal um den Hals und seine Nase leuchtete wie ein Warnlämpchen in dem blassen Gesicht. Aber momentan konnten sie sich Ausfälle kaum leisten. Die Arbeit stapelte sich auf jedem Schreibtisch und nun war auch noch der Mord dazugekommen. Gleichwohl die Kripo den Fall wieder übernommen hatte, mussten sie den Beamten zuarbeiten, da das Opfer quasi um die Ecke gelebt hatte.
Thamsen machte sich daher nach einem kurzen Gespräch mit seinem Vorgesetzten zu den Eltern von Arne Lorenzen auf.
Deren Haus lag in einem kleinen Vorort von Niebüll direkt hinter dem alten Außendeich. Das Grundstück wirkte sehr gepflegt. Während in den anderen Vorgärten noch Zeichen der letzten Herbststürme sichtbar waren, lag bei den Lorenzens kein Blatt, kein Ästchen auf dem akkurat geschnittenen Rasen und auch die Auffahrt war penibel gefegt. Thamsen drückte den goldglänzenden Klingelknopf und zog seine Mütze vom Kopf. Es war wieder kalt an diesem Morgen und da er sich nicht wie sein Kollege eine Erkältung einfangen wollte, hatte er vorsichtshalber eine Wollmütze aufgesetzt. Die Fasern hatten seine Haare elektrisch aufgeladen, die nun in flirrenden Büscheln senkrecht von seinem Kopf abstanden. Zum Glück glänzte die gläserne Eingangstür derart und er konnte sich darin wie in einem Spiegel betrachten. Schnell fuhr er sich mit der Hand durch das Haar. Es knisterte wild unter seinen Fingern.
Die schmale Gestalt, die ihm die Tür öffnete, war ganz in schwarz gekleidet. Das dunkle Kostüm unterstrich ihre blasse Gesichtsfarbe. Sie wirkte alt und zerbrechlich und nickte müde.
»Mein Beileid, Frau Lorenzen. Ich müsste Ihnen noch einige Fragen stellen.« Thamsen flüsterte beinahe. Jedes Wort in normaler Tonlage schien ihm unangebracht.
Frau Lorenzen trat zur Seite und deutete ihm mit einem weiteren Kopfnicken an, einzutreten.
Im Flur brannten mehrere Kerzen und ein riesiger Garderobenspiegel war mit einem dunklen Betttuch verhangen. Die Einrichtung wirkte exklusiv, aber alt und erinnerte ihn zum Teil an das Mobiliar seiner Eltern. Schwere Eichenmöbel beherrschten den Raum, dicke Teppichläufer schluckten jedes Geräusch seiner Schritte.
Die gedämpfte Stimmung passte zu der momentanen Situation, doch in anderen Zeiten musste einem diese düstere Umgebung aufs Gemüt schlagen.
Wie im Museum, dachte Thamsen und fand seinen Eindruck aus dem Hauseingang im Wohnzimmer bestätigt. Auch hier dominierten massive Holzmöbel den Raum und überall befanden sich sorgfältig arrangierte Porzellanfiguren, Vasen und Bilder.
Frau Lorenzen nahm ohne ein Wort zu sagen auf einem der dunkelgrünen Polstersessel Platz und faltete ihre Hände im Schoß. Dirk räusperte sich. Die kränklich wirkende Frau reagierte nicht. Wie ein Opferlamm auf der Schlachtbank saß sie da und wartete geduldig auf das, was auf sie
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