Todeswatt
ihres Lebens verbringen zu wollen. Es tat so gut, ihn an ihrer Seite zu wissen. Sie liebte ihn über alles.
Und auch Haie war wieder glücklich. Nach der Trennung von Elke hatte er eine schwere Zeit durchlebt, und es war schön, dass er wieder jemanden gefunden hatte. Wie zwei Teenager turtelten Haie und Ursel und schauten sich dabei verliebt in die Augen. Marlene gönnte ihm das von Herzen. Haie war für sie ein ganz besonderer Freund. Schon bei ihrer ersten Begegnung hatte Marlene gespürt, was für ein herzensguter Mensch er war. Man konnte sich immer hundertprozentig auf ihn verlassen. Seine Freundschaft bedeutete ihr viel und sie wertete es als gutes Zeichen, ihn als Toms Trauzeugen bei der Hochzeit an ihrer Seite zu wissen. Trotzdem wurde bei dem Gedanken daran ihre Vorfreude ein wenig getrübt. Sie selbst hatte noch niemanden gefunden, der ihre Ehe mit Tom bezeugen sollte. Dieser Platz war natürlich einer besten Freundin vorbehalten, doch seit Heikes Tod gab es in ihrem Leben niemanden, der diese Lücke ausfüllte. Marlene hatte zwar einige Bekannte und Kolleginnen, mit denen sie sich hin und wieder traf, und es gab ein paar alte Kommilitonen von der Uni, die sie besuchte, wenn sie in Hamburg war. Aber keiner von ihnen konnte Heike ersetzen und so war sie sich nach wie vor unschlüssig, wer sie bei diesem wichtigen Schritt begleiten könnte.
»Moin, Frau Schumann!«
Marlene war über den Schulweg nach Maasbüll gelangt. In einem der weitläufigen Vorgärten in Spalönj stand eine rundliche Frau und winkte ihr zu. Die geblümte Kittelschürze spannte sich beängstigend über den drallen Brüsten und die kleinen Plastikknöpfe hatten Mühe, den bunten Stoff zusammenzuhalten. Sie kannten sich flüchtig vom SPAR-Markt. Frau Nissen kaufte ebenso wie Marlene regelmäßig in dem Dorfladen ein.
»Hallo, Frau Nissen«, erwiderte sie den Gruß und trat näher an den Jägerzaun, der das Grundstück von dem schmalen Grünstreifen neben der Straße abgrenzte. Einen offiziellen Bürgersteig gab es in diesem Nebenweg der Dorfstraße nicht.
»Na, ein bisschen spazieren bei dem schönen Wetter?« Marlene nickte. Ihr stand der Sinn zwar momentan nicht nach einem belanglosen Gespräch – und um ein solches würde es sich nach Frau Nissens einleitender Frage ihrer Einschätzung nach auf jeden Fall handeln –, aber sie wollte nicht unhöflich sein.
»Ja, den Sonnenschein muss man ja ausnutzen. Bloß ’n bisschen kalt is’ es wieder geworden.« Die dickliche Frau verschränkte die Arme vor ihrem voluminösen Busen.
Wieder nickte Marlene bestätigend und fragte sich, warum Frau Nissen bei dieser Kälte nur mit einer dünnen Schürze bekleidet im Vorgarten stand.
»Ha’m Sie denn schon das mit dem Berater von der Bank gehört?«
Aha, daher wehte der Wind. Die Neuigkeit über Arne Lorenzens Tod hatte sich längst verbreitet. Und natürlich war man bemüht, jeden Einheimischen über den tragischen Vorfall zu unterrichten.
Generell liebte Marlene es, in einem solch beschaulichen Dorf zu wohnen. Wenn sie das Leben in Risum-Lindholm beschreiben sollte, kam ihr immer der Werbespruch einer friesischen Biermarke in den Sinn: ›Kein Stau, kein Stress, keine Hektik.‹
Diese Worte brachten es auf den Punkt. Allerdings hatte die Medaille auch eine Kehrseite. Es gab so gut wie nichts Neues in dem Dorf. Jedenfalls nichts wirklich Aufregendes. Ob nun der Marder wieder die Bremsschläuche bei Hinark Petersens Auto angenagt hatte oder der Grog in der Gastwirtschaft teurer geworden war; diese Themen waren weder neu noch abendfüllend. Aus diesem Grund waren die Leute sehr bedacht, möglichst alles um sich herum mitzubekommen. Kaum etwas blieb im Verborgenen. Und das ging Marlene manchmal gehörig auf die Nerven. Ebenso wie die Tatsache, dass Leute wie Frau Nissen wilde Spekulationen anstellen mussten, um gewisse Informationslücken zu füllen.
»Wenn der man nicht umgebracht worden ist. Mich würd’s nicht wundern.«
Haies Freundin hatte beim Mittagessen ja bereits ähnliche Vermutungen geäußert. Angeblich sollte der Banker krumme Geschäfte getätigt haben. Genaueres war Ursel aber nicht bekannt und Marlene vermutete, auch ihre Gesprächspartnerin wusste nicht mehr.
»Mord? Wie kommen Sie denn darauf?«, hakte sie trotzdem nach.
Die korpulente Frau trat einen Schritt näher und beugte sich leicht über den Zaun. Ihre Brüste berührten dabei beinahe das Holz des Scherengitters und Marlene fürchtete, sie würde sich schwer
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