Todeswatt
heutzutage darauf geschult. Das ursprüngliche Berufsbild war längst überholt. Es ging nicht mehr nur ums Beraten und darum, dem Kunden in finanziellen Angelegenheiten mit Rat und Tat behilflich zu sein – möglichst viele Abschlüsse musste ein Angestellter heute im Monat erbringen. Darum ging es den Banken. Um Umsatz, Profit und Gewinne. Und inzwischen gab es in der Bankbranche so viele Quereinsteiger ohne jegliches Fachwissen. Man musste als Kunde froh sein, wenn man am Schalter auf jemanden traf, der wenigstens einigermaßen Bescheid wusste und eine simple Frage wie zum Beispiel zu Wechselkursen beantworten konnte.
Selbst bei der kleinen Bank, wo er seit Jahren von ein und derselben Dame bedient wurde, war diese Entwicklung zu erkennen. Bei seinem letzten Gespräch hatte sie ihn auf die Vorsorge für seine Kinder angesprochen und vorgeschlagen, sie sollten dringend einen Termin ausmachen, um zu schauen, ob er und seine Kinder ausreichend abgesichert seien.
Er blätterte in dem vor ihm liegenden Ordner und ergänzte dabei weitere Namen auf der bereits angefertigten Liste, als jäh die Tür zu seinem Büro aufgerissen wurde und Marlene Schumann mit hochrotem Kopf hereinstürmte. Ihr Freund war etwas zurückhaltender im Eingang stehen geblieben.
»Wir müssen mit Ihnen sprechen!«
Thamsen konnte sich ein Schmunzeln kaum verkneifen, ihm kam diese Art von Auftritt bekannt vor. Bei einigen seiner letzten Ermittlungen hatten die Freunde ihn auch unterstützt und waren das ein oder andere Mal ebenso aufgeregt in sein Büro gestürmt. Er war gespannt, was die beiden zu berichten hatten. »Frau Schumann, schön, Sie zu sehen. Nehmen Sie Platz.«
Marlene griff sich einen der Stühle vor seinem Schreibtisch und ließ sich eilig darauf nieder. Sofort sprudelten die Worte nur so aus ihr heraus. »Das Alibi von Sönke Matthiesen ist falsch. Seine Frau hat angedeutet, dass er …« Plötzlich stockte sie.
»Ja?«
Tom setzte sich neben sie und übernahm das Gespräch. Er erklärte zunächst ruhig und sachlich, was sich an diesem Morgen ereignet hatte. Dann schaltete Marlene sich wieder ein.
»Sie hat immer wieder gesagt, ihr Mann sei kein schlechter Mensch. Nur weil er einmal einen Fehler gemacht habe.«
»Was für einen Fehler?«
Die beiden zuckten mit den Schultern. Soweit Thamsen verstand, hatte Inken Matthiesen in ihrer Verwirrtheit zusammenhangslose Sätze geäußert, die allerdings durchaus den Schluss nahe legten, sie glaube selbst, ihr Mann habe etwas mit dem Mord zu tun.
»Auf jeden Fall hat er wohl kein Alibi«, fasste Marlene zusammen.
»Hat sie das gesagt?« Thamsen war sich nicht sicher, ob man dem konfusen Gefasel Glauben schenken konnte.
»Na ja, nicht wirklich«, räumte Marlene ein.
Dirk Thamsen erzählte, er habe vorsichtshalber den Kollegen auf Pellworm gebeten, Erkundigungen über Sönke Matthiesen einzuholen. Viel mehr könnten sie zurzeit nicht tun, aber vielleicht gab es ja eine Verbindung, denn er musste ihnen recht geben, auch er hatte ein merkwürdiges Gefühl, was den Spediteur betraf.
»Und haben Sie sonst irgendwelche Hinweise?«, fragte Tom.
Konkrete Anhaltspunkte gäbe es momentan nicht, meinte er. Er gehe gerade die Unterlagen der Kunden von Arne Lorenzen durch. Er deutete auf die Ordner auf seinem Schreibtisch. Den Chef und einen weiteren Vermittler habe er befragt. Jedoch ohne erkennbaren Erfolg. Jede noch so kleine Spur habe sich bisher als fruchtlos erwiesen. Die Ergebnisse reichten nicht für einen konkreten Verdacht.
»Und die Eltern? Haben die keine Vermutung?«
Thamsen hatte die Lorenzens noch einmal aufgesucht. Gleich nachdem die Leiche zur Bestattung freigegeben worden war. Doch die beiden älteren Herrschaften hatten keine Ahnung, wer ihren Sohn umgebracht haben könnte. Laut ihren Aussagen gab es keinen Grund, warum jemand Arne so etwas angetan haben sollte. Die Mutter war immer noch recht durcheinander; der Vater wirkte eher distanziert. Thamsen hatte sich an seinen eigenen Vater erinnert gefühlt und im Stillen bezweifelt, es habe überhaupt eine vertrauliche Beziehung zwischen den beiden bestanden, die solch eine Einschätzung ermöglichte.
»Also wir sind inzwischen ziemlich sicher. Sönke Matthiesen ist der Täter«, bemerkte Marlene. Der Spediteur habe immerhin viel Geld durch den Banker verloren. Sehr viel Geld, betonte sie. Seine Firma sei dadurch so gut wie pleite und sein Verhalten als überaus merkwürdig einzuschätzen. Außerdem wollte er sich am
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