Todeswatt
Er griff noch einmal Helenes Bemerkung auf, jeder wisse, was für ein windiger Typ der Unternehmer sei.
»Och«, sie wandte sich halb ab und ordnete einige Pakete Taschentücher im Regal. Ganz offensichtlich zögerte sie die Antwort hinaus, genoss es, wieder Oberwasser zu haben. »Angeblich geht er ja fremd«, bemerkte sie, während sie sich mit gespielter Aufmerksamkeit mit den Wattestäbchen beschäftigte. Aber Genaueres wüsste sie nicht. Das habe sie auch nur gehört und wisse nicht, ob das stimme. Haie wunderte sich, warum sie ausgerechnet den Wahrheitsgehalt dieses Gerüchtes derart infrage stellte. Sonst war sie mit ihren Behauptungen nicht so zimperlich und verbreitete jegliches Gerede im Dorf, ohne sich vorher zu vergewissern, ob der Inhalt dessen, was sie weitererzählte, der Realität entsprach.
»Ja, und mit wem soll er eine Affäre gehabt haben?«
Das wiederum stünde außer Frage. Die Ladenbesitzerin drehte sich zu ihnen. »Mit einer von Pellworm hat er was angefangen.«
13. Kapitel
Das Gesicht der Frau, die in dem hinterem der beiden Krankenbetten lag, unterschied sich farblich kaum von der weißen Bettwäsche.
Als Thamsen das Zimmer betrat, hob sie müde den Kopf. An ihrer Miene war keinerlei Reaktion aufgrund seines Erscheinens abzulesen. Er zog sich einen der Stühle, die um einen Holztisch an der gegenüberliegenden Seite des Raumes standen, ans Bett und setzte sich. Neben der Krankenstatt hing ein Tropf und er nahm an, man verabreichte ihr Beruhigungsmittel. Anders konnte er sich ihren apathischen Zustand kaum erklären.
»Frau Matthiesen, wie geht es Ihnen? Herr Meissner und Frau Schumann haben mir berichtet, was passiert ist«, erklärte er seinen Besuch.
Inken Matthiesen nickte kaum merklich und benetzte ihre Lippen mit der Zunge. »Was ist mit meinen Kindern?« Trotz der Erschöpfung galt ihre einzige Sorge ihrer Familie. Sie versuchte sich aufzurappeln. Thamsen war ihr behilflich und rückte das Kissen zurecht.
»Frau Schumann hat einer Nachbarin Bescheid gesagt. Die kümmert sich.«
Wieder bewegte die blasse Frau ihren Kopf. Dabei schloss sie die Augen.
»Frau Matthiesen«, er räusperte sich. Es war ihm unangenehm, sie trotz ihrer schlechten gesundheitlichen Verfassung behelligen zu müssen, doch die aktuelle Situation erforderte es nun einmal. »Ich möchte Sie gar nicht lange belästigen, aber wir müssen noch einmal über das Alibi Ihres Mannes sprechen.«
Wieder ein kraftloses Nicken.
Er erkannte die Frau kaum wieder. Vor wenigen Tagen hatte sie ihm gegenüber ihren Mann heftig verteidigt. Noch ehe er seine Frage nach Sönke Matthiesens Alibi stellen konnte, hatte sie ausgesagt, ihr Mann habe die ganze Woche jeden Abend mit ihr verbracht. Und jetzt? Er musterte die blasse Frau, die völlig in sich zusammengesunken schien. Sämtliche Kräfte hatten sie verlassen. Ihre Zweifel hatten sie zermürbt. Vielleicht war sie wirklich überzeugt gewesen, ihr Mann habe nichts mit dem Mord an dem Banker zu tun. Aber etwas musste vorgefallen sein, nachdem er sich von Sönke Matthiesen und seiner Frau verabschiedet hatte. Ansonsten würde sie kaum hier liegen.
Hatte der Spediteur seiner Frau gestanden, Arne Lorenzen umgebracht zu haben?
»Ihr Mann war am Montag nicht den ganzen Abend bei Ihnen, oder?«, versuchte er den Dingen auf den Grund zu gehen.
»Nein.«
Diese kurze Antwort beinhaltete so viel mehr, als nur die simple Bestätigung, dass Sönke Matthiesen kein Alibi hatte. Schon am Klang der vier Buchstaben ließ sich erahnen, welch ein Wechselbad der Gefühle Inken Matthiesen durchlebte. Traurigkeit und Enttäuschung, aber auch Angst und Wut.
Sie drehte ihren Kopf zur Seite und blickte aus dem breiten Fenster, aus dem man weit über die umliegenden Häuser blicken konnte. Das Schweigen war nicht unangenehm, aber von einer Spannung erfüllt, die erahnen ließ, dass die Kranke gleich anfangen würde zu reden. Das jedenfalls vermutete Thamsen. Er kannte dieses Verhalten, hatte es schon häufig bei Befragungen erlebt. Die meisten Menschen schauten einem nicht in die Augen, wenn sie eine Aussage revidierten und mit der Wahrheit rausrückten.
Er zählte die einzelnen Tropfen, die aus der durchsichtigen Flasche an dem Halter neben dem Bett sickerten und wartete.
»Wir haben bereits seit etlicher Zeit Probleme.« Ohne den Kopf zu wenden, begann Inken Matthiesen zu sprechen. Ihre Stimme war tränenerstickt. »Nicht nur geschäftlich«, erklärte sie, wenn er verstünde, was sie meine.
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