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Todeswunsch - Robotham, M: Todeswunsch - Bleed For Me

Todeswunsch - Robotham, M: Todeswunsch - Bleed For Me

Titel: Todeswunsch - Robotham, M: Todeswunsch - Bleed For Me Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Robotham
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Eine Wendeltreppe führt in die oberen Stockwerke. Die täglichen Sitzungstermine sind in einem Glaskasten ausgehängt. Der Prozess gegen Novak Brennan findet im Saal eins statt, demselben Gerichtssaal mit demselben
Richter, der über meine Freilassung gegen Kaution entschieden hat.
    Die Zuschauerplätze auf der unteren Ebene werden freigehalten. Wir werden auf eine Galerie eine Etage höher verwiesen, von der man das Geschehen überblicken kann. Ruiz schlüpft nach mir hinein und dämpft die zufallende Tür mit einer Hand ab.
    Im Gerichtssaal unter uns sitzen die Geschworenen an einer Wand direkt neben dem Zeugenstand. Auf der gegenüberliegenden Seite sitzen Novak Brennan, Tony Scott und Gary Dobson nebeneinander auf der Anklagebank hinter der Glaswand. Es sind mehr Anwälte da als vorher. Jeder Angeklagte hat seinen eigenen Verteidiger.
    Julianne sitzt auf einem Stuhl zwischen Zeugenstand und den Geschworenen und sieht ruhig und geschäftsmäßig aus. Trotzdem erkenne ich, dass sie nervös ist, weil sie mit den Anhängern an ihrem Armband spielt. Wenn ich sie mir vorstelle, sehe ich meistens dieselbe junge Frau vor mir, die ich 1983 nach einer Anti-Apartheid-Demonstration auf dem Trafalgar Square kennengelernt habe. Sie ist immer noch schön – mit einer Stimme, die das Angebot, auf einen Kaffee mit reinzukommen, hoch verführerisch klingen lassen kann. In den vergangenen zwei Jahren hat sie sich jedoch verändert. Sie wirkt müde und erschöpft. Vielleicht ist das ja auch meine Schuld.
    Ein neuer Zeuge ist aufgerufen worden: Marco Kostin. Ein Murmeln geht durch den Gerichtssaal, ein Kribbeln der Erwartung, das sich wie eine unsichtbare Strömung von den Presserängen bis zur Geschworenenbank zieht. Jeder Prozess hat einen Hauptakt – einen Moment, in dem er in die eine oder andere Richtung kippen kann. Vielleicht ist es ein Zeuge, ein entscheidendes Indiz, ein brillantes Schlussplädoyer oder ein Kreuzverhör. Dies ist der Hauptakt. Marco Kostin. Der Überlebende.
    Kurz darauf erscheint er. Er geht leicht x-beinig hinter dem
Gerichtsdiener zum Zeugenstand. Er ist groß und schlaksig und wirkt jünger als achtzehn, mit großen Augen und langen Wimpern, die beinahe feminin aussehen würden, wenn er dazu nicht buschige Augenbrauen hätte. Er legt seine linke Hand auf die Bibel, hebt die rechte und schwört, die Wahrheit zu sagen, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit …
    Julianne übersetzt den Eid und nickt Richter Spencer zu, der sich an die Geschworenen wendet.
    »Meine Damen und Herren, zunächst möchte ich mich für die Verzögerung heute Vormittag entschuldigen, aber es waren andere Fälle aufgerufen und Entscheidungen zu treffen. Dieser Zeuge braucht eine Dolmetscherin, weil sein Englisch begrenzt ist. Ich weiß, dass es das Verfahren schwieriger und langwieriger macht, aber sowohl Miss Scriber als auch Mr. Hurst haben zugesagt, ihre Fragen kurz zu halten und dem Zeugen zusätzliche Zeit für deren Beantwortung einzuräumen.«
    Miss Scriber, Kronanwältin, ist eine Frau mit spitzem Gesicht, Augenbrauen wie Bleistiftstriche und einem Körper, der unter ihrer schwarzen Robe formlos wirkt. Sie fordert Marco auf, seinen vollen Namen zu nennen, und fragt ihn, wo er geboren wurde. Hin und wieder antwortet Marco ohne Juliannes Hilfe, aber meistens wartet er ihre Übersetzung der Frage ab.
    In den nächsten zwanzig Minuten legt er dar, dass sein Vater Vasily Kostin ein sowjetischer »Liquidator« war, der 1986 nach der Katastrophe von Tschernobyl zu Aufräumarbeiten abkommandiert wurde. Er fuhr einen Bus und half, Menschen aus der Stadt Prypjat zu evakuieren. Auf einer dieser Fahrten lernte er Olga kennen, die er zwei Jahre später heiratete. Ihr erstes Kind Oles wurde ohne Gehirn geboren und lebte nur wenige Stunden. Dann kamen Marco und seine Schwestern, Vira, elf Jahre, Aneta, sechs, und Danya, vier.
    Vor vierzehn Monaten kam die Familie nach Großbritannien und verbrachte zwei Monate in einem Flüchtlingslager, bevor sie in eine von der Stadt gestellte Unterkunft umziehen durfte
und Gutscheine für Lebensmittel und Kleidung erhielt. Marco schrieb sich in einer Sprachschule ein, und die Familie besuchte die Kirche im Viertel.
    »Warum sind Sie nach Großbritannien gekommen?«, fragt Miss Scriber.
    »Wir wollten ein neues Leben anfangen.«
    »Und was hat man Ihnen gesagt?«
    »Man hat uns gesagt, wir dürften nicht bleiben, aber wir wollten Widerspruch einlegen.«
    Miss Scriber führt Marco mit Fragen

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