Todeszauber
lausche ich seinen Ausführungen über die Geschichte der Varietés, lasse mir die Bühne zeigen, die Technik erklären und von den Anfängen der Kleinkunstszene in Hamburg berichten. Ich schreibe alles mit, stolpere über Kabel, renne gegen Wände und bin begeistert. Obwohl Busch mehr oder weniger ununterbrochen redet, schaffe ich es irgendwann, nach Isabel Ortega zu fragen und ihm ihr Bild zu zeigen. Er sieht sich das Foto eine Weile an, behauptet dann aber, sie nicht zu kennen. Und schon dreht er sich wieder um, eilt im Laufschritt davon, macht mich auf eine offene Falltür aufmerksam und dirigiert mich eine schmale, steile Steintreppe hinunter in die Katakomben des Hanse-Theaters. Zum Kostümfundus, wie er mir über die Schulter zuruft.
Als ich gegen zwanzig Uhr das Hanse-Theater verlasse, bin ich völlig erschöpft, habe zwei spannende Stunden erlebt und einen interessanten Mann kennengelernt. Nur mit meinem Fall bin ich keinen Schritt weitergekommen.
Nach einem Abstecher in die Husumer Straße, den ich zu einem kurzen Abendessen und einer Stippvisite in der Badewanne nutze, mache ich mich gegen zweiundzwanzig Uhr auf den Weg ins Cucaracha.
Doch auch dieser Besuch ist nicht von Erfolg gekrönt. Mein Vorhaben, mit Juanita zu reden, lässt sicht nicht realisieren. Sie ist nirgends zu sehen. Dafür entdecke ich etwas ganz anderes. Etwas, womit ich überhaupt nicht gerechnet habe.
Ich mache die Augen zu und wieder auf. Doch es ist keine Fata Morgana. Mitten im Cucaracha, lässig an die Theke gelehnt, steht Wilsberg. Nein, denke ich, das kann nicht sein. Das ist nur jemand, der ihm ähnlich sieht. Allerdings sieht er ihm verdammt ähnlich. Mein Puls schnellt in die Höhe, mein Mund wird trocken, mein Herzschlag setzt einen kurzen Moment aus.
Doch was rege ich mich auf? Wieso produziere ich auf einmal so viel Adrenalin? Wegen eines Mannes, den ich in Münster in einem Sadomaso-Club kennengelernt habe. Der zufällig in derselben Branche arbeitet wie ich und damals zufällig im selben Fall recherchierte. Und in den ich mich dann zufällig verliebt habe.
Ich blöde Gans. Okay, ich habe ihn am Anfang ausgetrickst, ihn ein bisschen an der Nase herum-und auch ein bisschen vorgeführt. Das gebe ich zu. Doch dann haben wir den Fall gemeinsam gelöst. Und ich hatte gedacht, daraus könnte etwas werden. Es könnte sich zwischen Hamburg und Münster so etwas wie eine Wochenendbeziehung entwickeln. Mein Liebesleben würde langsam in geordneten Bahnen verlaufen, ich mal eine Beziehung haben, die länger als ein paar Wochen hält. Doch viel früher als erwartet kam der Katzenjammer. Ich stattete Wilsberg einen Überraschungsbesuch ab und erwischte ihn im Clinch mit einer anderen Frau. Das war das letzte Mal, dass ich nach Münster gefahren bin.
Und wenn ich ihn jetzt so beobachte, den Mann, der wie Wilsberg aussieht und der gerade sein armseliges bisschen Charme aufbietet und breit grinsend versucht, mit einer bildhübschen Latina ins Gespräch zu kommen, dann habe ich das Gefühl, nicht wirklich etwas verpasst zu haben.
Ich entschließe mich zu gehen, greife nach meinem Mantel und meiner Tasche und werfe einen letzten Blick auf Wilsbergs Doppelgänger. Genau in dem Moment sieht er mich an. Sieht mir direkt in die Augen. Und ein bisschen trifft sie mich dann doch, die Erkenntnis, dass es keinen Doppelgänger gibt. Dass der Mann, der da steht, Wilsberg höchstpersönlich ist. Mein Kollege aus Münster, der nach Hamburg reist, ohne mich vorher anzurufen.
Ich hebe den Kopf, drücke den Rücken durch und marschiere los. Anstatt nach rechts zum Ausgang, halte ich mich links, umklammere fest meine Handtasche und steuere direkt auf ihn zu.
9
Wilsberg gerät ins Straucheln
Pia blieb vor mir stehen und schenkte mir ein Lächeln, das Wiedersehensfreude oder Mordlust ausdrücken konnte. Oder von beidem etwas. Sie roch nach einem unbekannten Parfüm. Und sie sah toll aus in ihrem schwarzen, dekolletierten Kleid und den hochhackigen Schuhen. Beinahe kam es mir so vor, als sei sie ein paar Millimeter größer als ich. Aber das musste an meinem Gefühl liegen. Dem Gefühl, mich rechtfertigen zu müssen. Der Angst, gleich mit dem ersten Satz alles kaputtzumachen. Zu blöd. Da hatte ich in der Fantasie unsere Begegnung durchgespielt, mir einige kluge Formulierungen überlegt, die das Eis brechen sollten. Und jetzt schienen sie mir alle unpassend. Einen ähnlichen Blackout hatte ich zuletzt erlebt, als ich in der Tanzstunde das
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