Todeszauber
Isabel Ortega, das Mordopfer, trug nicht nur denselben Nachnamen wie Anna, sondern hatte auch eine gewisse Ähnlichkeit mit ihr.
8
Pia Petry erlebt eine unangenehme Überraschung
Um sechs parke ich in der Tiefgarage direkt gegenüber der Davidwache. Von dort ist es nicht weit bis zum Varieté. Um die Uhrzeit ist auf der Reeperbahn nicht viel los. Ein paar vereinzelte Touristen, die ziellos an den Sexshops, Tabledancebars und Restaurants vorbeiflanieren. Die meisten Huren, die abends entlang der Davidstraße stehen, haben ihre Stammplätze noch nicht eingenommen, genauso wenig wie die Türsteher, die sogenannten Koberer, deren Job es ist, lautstark die Vorzüge ihrer Bars und Stripläden anzupreisen, um so Passanten anzulocken.
Als ich das Hanse-Theater erreiche, ist die Nachmittagsvorstellung gerade zu Ende gegangen. Nach der Zahl der Besucher, die mir entgegenkommen, scheint die Vorstellung nicht ausverkauft gewesen zu sein. Ich wende mich an die Kassiererin, die gelangweilt hinter ihrer Glasscheibe sitzt. Ein bisschen sieht sie aus wie Ute, die Mutter der Nibelungen. Mit für ihr fortgeschrittenes Alter viel zu langen und viel zu blonden Haaren, jeder Menge Farbe im Gesicht und violett lackierten, spitz zulaufenden Fingernägeln erweckt sie den Anschein, früher auf dem Kiez einmal einer anderen Tätigkeit nachgegangen zu sein.
»Mein Name ist Petry«, stelle ich mich vor. »Ich komme vom Abendblatt und mache eine Geschichte über die Renaissance der Hamburger Varietés.«
Nur widerwillig hebt sie den Blick von der vor ihr liegenden Zeitung. »Haben Sie einen Termin?«
»Ja. Mit Ihrem Geschäftsführer, Nico Busch.«
»Moment.« Sie greift zum Telefonhörer. Nach ein paar Minuten legt sie unverrichteter Dinge wieder auf. »Er ist nicht in seinem Büro. Wahrscheinlich ist er hinter der Bühne.« Sie deutet auf eine schwarz gestrichene Tür und wendet sich wieder ihrer Lektüre zu.
Hinter der ominösen Tür verbirgt sich der Backstagebereich. Ein langer, schmaler Flur, von dem jede Menge weiterer Türen abgehen und in dem es vor eilig hin und her laufenden Menschen nur so wimmelt. Männer in eng anliegenden, seidig schimmernden Trikots, Frauen in knappen Korsagen und mit Federboas, kleinwüchsige, mit bunten Bällen jonglierende Clowns, ein circa sechzehnjähriger Junge im weißen Frack und mit einem kleinen Affen auf der Schulter. Künstler, die nach der Vorstellung ihre Garderoben aufsuchen, um sich umzuziehen und abzuschminken.
Entschlossen betrete ich einen Umkleideraum. Ein winziges Zimmerchen, mit einem überdimensionierten Wandspiegel, vor dem ein schmaler Tisch und ein wackelig aussehender Holzstuhl stehen. Der Tisch ist beladen mit Töpfen und Tiegeln, Puderquasten und Haarbürsten. Fasziniert betrachte ich eine mit an die fünfzig unterschiedlich langen und dicken Schminkpinseln gefüllte Blechbüchse, als eine schwarzhaarige Frau in einem leuchtend blauen, über und über mit Pailletten verzierten Kleid den Raum betritt. Sie hat den Körper eines Supermodels und die Ausstrahlung eines Kühlschranks.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragt sie irritiert.
»Ich bin Journalistin«, versuche ich, meine Anwesenheit zu erklären. »Und habe einen Termin mit Herrn Busch.«
»Der ist auf der Bühne.«
»Darf ich Sie etwas fragen?« Ich zeige ihr das Foto von Isabel und dem unbekannten Mann. »Kennen Sie die Frau? Hat sie vielleicht hier gearbeitet?«
Die Schwarzhaarige streift die Aufnahme mit einem kurzen Blick, setzt sich und zieht sich mit einer eleganten Bewegung die Perücke vom Kopf. Darunter quillt eine Flut blonder Haare hervor.
»Haben Sie die Frau schon einmal gesehen?«, wiederhole ich.
»Nein«, lautet die Antwort.
»Sicher?«
In dem Moment erscheint ein Mann in der Tür.
»Sind Sie Frau Petry?«
Ich nicke und mustere ihn erstaunt. Der Typ ist groß, schmal, mit dunklen vollen Locken und den klassischen Gesichtszügen eines jungen Römers. Für meinen Geschmack ein bisschen zu viel Babyface, dennoch nicht unattraktiv.
»Die Journalistin?«, hakt er nach.
»Ja«, sage ich.
»Dann kommen Sie mal mit.«
Das lass ich mir nicht zweimal sagen. Wer hätte gedacht, dass Nico Busch derart jung ist, denke ich, während ich hinter ihm herlaufe. Er hat eine angenehme Stimme und behandelt mich mit einer fast schon altmodisch wirkenden Höflichkeit. Als wäre er nicht aus dieser Welt und käme nicht aus unserer Zeit.
Was mich aber wirklich beeindruckt, ist sein immenses Wissen. Hingerissen
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