Todeszauber
Ahnung.«
»Monetti hat bestimmt mal aus dem Nähkästchen geplaudert.«
»Stefan hat nur allgemeine Dinge erzählt. Dass die Mitglieder ihren Verein Loge nennen würden, obwohl es sich nicht um eine Freimaurerloge im herkömmlichen Sinn handelt. Allerdings gibt es, ähnlich wie bei Freimaurerlogen, einen Meister vom Stuhl und andere Beamte. Während der Sitzungen reden sich alle mit ihren Logennamen an.«
»Wer ist Cagliostro?«
Kemmer schaute kurz zu mir herüber. »Welchen meinen Sie? Der historische Graf Cagliostro hat im achtzehnten Jahrhundert gelebt. Er hat Lotteriezahlen vorausgesagt, Steine in Diamanten verwandelt und in spiritistischen Sitzungen Kranke geheilt. All diese Sachen, die dazu beitragen, dass Magier bis heute als unseriös gelten. Wenn dem falschen Grafen der Boden zu heiß wurde, ist er weitergezogen. Von London nach Moskau und Paris. In Paris hatte er den größten Erfolg. Bis zur Halsbandaffäre. Selbst Goethe war von Cagliostro fasziniert und …«
»Das reicht!«, unterbrach ich ihn. »Welcher von den Typen in der Loge nennt sich Cagliostro?«
Er schüttelte den Kopf. »Das kann ich wirklich nicht sagen.«
»Kommen Sie! Cagliostro ist der Mann, der Monetti engagiert hat. Wollen Sie mir weismachen, dass Ihr Schüler und Freund nie über ihn geredet hat?«
»Cagliostro …«
»Ja?«
»… ist der Meister vom Stuhl. Derjenige, der die Sitzungen leitet.«
»Ich brauche seinen realen Namen, Herr Kemmer. Sonst platzt unsere Vereinbarung.«
Er wischte sich Schweiß von der Oberlippe. Aus dem selbstbewussten, stolzen Magier unserer ersten Begegnung war ein verängstigter alter Mann geworden. Doch darauf konnte ich keine Rücksicht nehmen.
»Ich bin nicht mal sicher, ob Stefan wusste, mit wem er es zu tun hatte. Die Identität der Logenmitglieder preiszugeben, ist strengstens untersagt.«
»Ist Reichweiler Cagliostro?«
Kemmer schaute sich um. Wir standen in einer schmalen, unbelebten Straße, die in die Lange Reihe mündete. »Sie bringen mich in große Schwierigkeiten.«
»Ich bringe Sie in noch größere Schwierigkeiten, wenn Sie mir etwas verheimlichen.«
»Glauben Sie mir, ich habe keine Ahnung, wer Cagliostro ist.«
Vielleicht sagte er die Wahrheit.
Ich nickte. »Also gut. Dann möchte ich hören, was Monetti Ihnen sonst noch erzählt hat.«
»Stefan hat die Logennamen einiger anderer Mitglieder erwähnt: Chung Ling Soo, Kellar, Dante, Goldin, Houdini, Kalanag.«
»Alles Magier, nehme ich an?«
»Richtig.« Kemmer lebte wieder auf, das war sein Element. »Chung Ling Soo, eigentlich William E. Robinson, starb 1918 in London durch den Kugeltrick. Die Nummer war die größte Attraktion seiner Show. Harry Kellar gilt als der große alte Mann der amerikanischen Zauberkunst. Dante, ein Däne, ging schon vor dem Zweiten Weltkrieg mit sechs Lastwagen und sechzehn Tonnen Requisiten auf Tournee. Horace Goldin, als Hyman Goldstein in Litauen geboren, war der Erfinder der zersägten Jungfrau. Kalanag alias Helmut Schreiber stellte in Deutschland alle anderen in den Schatten. Und Houdini kennen Sie sicher. Er war einer der Größten überhaupt.«
»Und wie passt Cagliostro in diese Reihe?«, fragte ich
»Gar nicht«, sagte Kemmer. »Cagliostro war ein Scharlatan. Seriöse Magier würden niemals behaupten, dass sie übernatürliche Kräfte besitzen. Wir können keine Krankheiten heilen oder defekte Uhren in Gang setzen. Allerdings muss Cagliostro ein unglaubliches Charisma besessen haben. Überall auf der Welt, wo er sich niederließ, konnte er sofort eine Schar Anhänger um sich versammeln. Er gründete Freimaurerlogen nach altägyptischem Ritus, den er natürlich selbst erfunden hatte, und nannte sich Großkophta.«
»So wie unser Cagliostro die Loge in Hamburg gegründet hat«, stellte ich fest. »Vielleicht ist der Name doch nicht so falsch gewählt. Was passiert eigentlich, wenn sich diese ganzen Zaubergenies treffen?«
»Sie betreiben Magie aus Passion. Das reicht von guter Hobby-Zauberei bis zu professionellen Fertigkeiten. Reihum ist jeder für eine Show verantwortlich und darf sich dabei von einem Profi wie Stefan unterstützen lassen. Natürlich versuchen sie sich gegenseitig zu übertrumpfen und die neuesten und aufregendsten Tricks zu präsentieren.«
»Das ist alles?« Ich war enttäuscht. »Eine Gruppe von reichen Männern, die sich gegenseitig Zaubertricks vorführen? Wozu die Geheimniskrämerei?«
»Ist das so schwer zu verstehen, Herr Wilsberg? Das sind nicht
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