Todeszauber
Restaurant, das sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite befindet und Edelcurry heißt.
»Das hätte ich mir ja denken können«, sage ich, als wir das Lokal betreten, »dass Sie nicht zur nächsten Frittenbude fahren.«
»Es spricht überhaupt nichts gegen eine Frittenbude. Solange die Currywurst so hervorragend schmeckt wie hier und die Pommes selbst gemacht sind.«
Ich klettere auf einen der Barhocker, die um die hochbeinigen Tische gruppiert sind, und sehe mich in dem Lokal um. Die Frontseite ist fast bodentief verglast, die Wände sind in Dunkelgrün und Rot gehalten, die Tischplatten aus dunklem Holzlaminat. Alles sehr modern. Hinter der Theke befindet sich eine bestimmt drei Meter lange Edelstahl-Bratwand, in deren Pfanne eine Million Pommes frites aufgeschichtet liegen.
»Ist der Laden neu?«, frage ich und greife nach der Speisekarte.
Von Sandleben nickt. »Die haben erst kürzlich aufgemacht.«
»Essen scheint Ihnen wichtig zu sein«, sage ich. »Wenn ich mich an das opulente Dinner bei Ihnen erinnere.«
Er strahlt mich an. »Das stimmt. Ich liebe gutes Essen. Je ausgefallener, desto lieber. Im Sommer war ich bei Ferran Adrià in Spanien. Ich weiß nicht, ob Sie ihn kennen. Es ist Koch und durch seine experimentelle Lebensmittelverarbeitung weltberühmt geworden.«
»Ich habe von ihm gelesen«, sage ich. »Man muss ein Jahr im Voraus einen Tisch bestellen. Und bezahlt fast zweihundert Euro für ein Menü.«
»Aber es lohnt sich«, sagt von Sandleben. »Adrià ist ein Vertreter der sogenannten Molekularküche, er kreiert Speisen, die es eigentlich gar nicht gibt. Zum Beispiel befüllt er Salzstreuer mit duftendem Kunstnebel, würzt Gemüse-Gelatine-Streifen mit Holzkohlenöl, kreiert heißes Eis, formt Olivenöl zu Bonbons, füllt Tintenfisch mit einer Mischung aus Ingwer und Kokosnuss, serviert eine Mousse aus Muschelfleisch in einem Mantel von hauchdünnem Schweinefett und injiziert Eiern vor dem Kochen Kaviarpaste. «
»Ich weiß nicht«, sage ich. »Ist das nicht ein bisschen dekadent?«
»Das finde ich überhaupt nicht. Essen hat ganz viel mit Gewohnheiten und Bräuchen zu tun. So gibt es ja bekanntlich Volksgruppen, die würden nie im Leben Schweinefleisch essen. Und wir haben überhaupt kein Problem damit. Dafür mögen die meisten Deutschen kein Pferdefleisch. Obwohl das doch sehr schöne Tiere sind.«
»Vielleicht mögen sie es aus genau diesem Grund nicht«, sage ich und studiere jetzt doch lieber die angebotenen Wurstvariationen. Dann lege ich die Speisekarte beiseite und sehe von Sandleben direkt an. »Was ist denn jetzt so wichtig, dass Sie mich um elf Uhr abends unbedingt hierher schleppen mussten?«
Seine kindliche Begeisterung weicht einem ernsten, eher geschäftsmäßigen Gesichtsausdruck. »Warum haben Sie mich belogen?«
»Hab ich das?«
»Sie sind gar keine Journalistin. Sie sind Privatdetektivin.«
»Wissen Sie das von Reichweiler?«, frage ich.
Von Sandleben zuckt mit den Schultern. »Das ist doch jetzt egal. Also, warum haben Sie mich belogen?«
»Das gehört zum Geschäft.«
»So einfach ist das für Sie?«
»Klar. Wenn ich immer die Wahrheit sagen würde, könnte ich meine Aufträge nicht erfüllen.«
»Und um welchen Auftrag handelt es sich?«, fragt er.
»Ich recherchiere im Fall Isabel Ortega.«
»Wer ist Ihr Auftraggeber?«
»Über meine Kunden rede ich generell nicht.«
Mit erwartungsvoller Miene baut sich eine Kellnerin in weißer Bluse, Jeans und langer schwarzer Schürze vor uns auf.
Ich bestelle eine Apfelsaftschorle und eine Currywurst fruchtig, mit einer normalen Portion Pommes und Mayo. Von Sandleben nimmt eine Weinschorle und die klassische Currywurst mit Brot.
Danach schenkt er mir wieder seine volle Aufmerksamkeit. »Haben Sie denn schon etwas herausgefunden?«
»Wieso interessiert Sie das?«, frage ich.
»Weil es Sie interessiert. Weil es Sie beschäftigt. Und weil ich Ihnen nahe sein möchte.«
»Und das ist der einzige Grund?«
Die Bedienung bringt unsere Getränke und stellt die beiden Gläser vor uns ab.
»Flirten Sie eigentlich nie?«, fragt er.
Einen Moment bringt er mich aus der Fassung.
»Ich bin nicht besonders gut im Flirten«, gebe ich zu.
»Ich mag Sie«, sagt er. »Finden Sie das schlimm?«
»Haben Sie einen Mutterkomplex?«, rutscht es mir raus. »Ich bin über vierzig.«
»Na und. Ich bin neunundzwanzig. Und ich finde, wir sollten uns nicht gegenseitig diskriminieren.«
»Bei einem solchen Altersunterschied
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