Todeszauber
Liebeskoma zu erwachen.
»Nein! Sie gehen da nicht hin«, ruft er aus. Und an uns gewandt: »Sie will sich allen Ernstes für den Job von Isabel bewerben.«
»Sonst kommen wir nicht weiter. Ich gehe auf jeden Fall da hin und werde es herausfinden.«
»Nein!«, rufen jetzt beide Männer. Vereint in ihrem Beschützerinstinkt. Oder aus Angst, das Objekt der Begierde könne vor dem Vollzug erotischer Abenteuer das Zeitliche segnen.
»Ich finde das gar keine so schlechte Idee«, sage ich langsam. »Von Sandleben hat mir erzählt, dass Reichweiler die Assistentinnen einstellt und dass diese Jobs nicht per Zeitungsinserat ausgeschrieben, sondern über Mundpropaganda besetzt werden. Das heißt, wir müssten für Anna einen Termin bei Reichweiler vereinbaren und sie könnte sich dann unter Bezugnahme auf Isabels Tod um den Job be…«
»Kommt ja überhaupt nicht infrage«, fällt mir Wilsberg ins Wort. »Was, wenn Reichweiler tatsächlich ein Mädchenhändler ist und Anna auf Nimmerwiedersehen in irgendeinem Puff verschwindet?«
»Wir können uns absichern«, rede ich ungerührt weiter. »Wir könnten die entsprechende Abhörtechnik besorgen, Anna verkabeln und Cornfeld zu ihrem Schutz mitschicken. Als ihren Agenten. Dann ist sie vor Ort nicht allein. Und wir beide«, ich zeige auf Wilsberg und mich, »sitzen im Auto, hören alles mit an und können im Notfall eingreifen.«
»Ich bin dagegen«, sagt Wilsberg. »Der Plan birgt viel zu viele Risiken.«
»Tut er nicht«, antworte ich. »Denn wenn Anna den Job bekommt, kann sie sich wahrscheinlich frei in dem Club bewegen und hat gute Chancen, an wichtige Informationen zu kommen.«
Anna nickt mir zu. »Exactamente!«
Wir lächeln uns an. Getragen von einer Art Frauensolidarität.
Doch es gibt ein Haar in der Suppe. Ich kämpfe mal wieder mit meinem schlechten Gewissen. Denn ich bin mir nicht sicher, ob ich bei einer weniger attraktiven, bei den Männern weniger beliebten Frau nicht doch größere Skrupel haben würde. Den Gedanken schiebe ich ganz schnell zur Seite.
»Wir kriegen das schon hin«, sage ich und nicke Anna aufmunternd zu.
21
Wilsberg hat einen Anruf frei
Der Gedanke, Anna in die Höhle des Löwen zu schicken, behagte mir überhaupt nicht. Dass Cornfeld sich bereit erklärt hatte, ihre Leibwache zu spielen, war keine große Beruhigung. Was konnte Pias smarter Assistent schon ausrichten, wenn es wirklich ernst wurde? Doch Anna und Pia hatten sich durchgesetzt und meine Bedenken beiseite gewischt. Falls es brenzlig werden würde, konnten wir allerdings immer noch die Polizei rufen. Zumindest in diesem Punkt waren wir halbwegs auf der sicheren Seite. Denn die Davidwache befand sich, wie ich ja mittlerweile aus eigener Erfahrung wusste, nicht weit vom Hanse-Theater entfernt.
Nach unserer Besprechung und einem schnellen Mittagessen war ich in mein Hotel zurückgekehrt, um das Schlafdefizit der letzten Nacht auszugleichen und am Abend fit zu sein. Es blieb beim Versuch. Sobald ich im Bett lag und die Augen schloss, drehten sich meine Gedanken im Kreis und produzierten ein Horrorszenario nach dem anderen. Das, was mit Kemmer passiert war, hatte mir einen ziemlichen Schrecken eingejagt. Wer so etwas machte, würde nicht zögern, einen weiteren Mord zu begehen. Und Anna vertraute vielleicht zu sehr auf das Funkgerät, das sie am Leib trug.
Der Klingelton meines Handys beendete den Gedankengang.
»Hast du eine Ahnung, wo sich Anna Ortega aufhält?«, fragte Hauptkommissar Stürzenbecher.
»Warum willst du das wissen?«
»Ich habe noch ein paar Fragen an sie.«
»Das heißt, ihr habt die Ermittlungen nicht eingestellt?«
»Scharf kombiniert, Wilsberg. Einige Künstler und Bühnenarbeiter des Varietés haben ausgesagt, dass Stefan Hubertus am Abend vor seinem Auftritt ungewöhnlich nervös und fahrig war. Fast so, als habe er Angst gehabt. Außerdem hatte Hubertus seinen Agenten angewiesen, das nächste Engagement abzusagen, er sei ausgebrannt und brauche dringend einen Urlaub.« Stürzenbecher machte eine erwartungsvolle Pause, doch ich verzichtete darauf, ihm eine Erklärung anzubieten.
»Was ist mit der Pistole?«, fragte ich.
»Irgendein Depp vom LKA hat beim Auseinandernehmen einen Fehler gemacht und sie können das Teil nicht mehr zusammenbauen. Jetzt müssen sie einen Mitarbeiter der Herstellerfirma kommen lassen. Das dauert also noch eine Weile.« Stürzenbecher hustete. »Ehrlich gesagt, Wilsberg, tendiere ich dazu, die Unfallthese fallen zu
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