Todeszauber
Vega, dann dürfte die zersägte Jungfrau doch kein Problem für Sie darstellen. Wir hätten hier einen sehr schönen Holzkasten …«
Mir stellen sich alle Haare zu Berge. Die Nummer mit der zersägten Jungfrau hat Kemmer schon nicht überlebt. Falls Reichweiler Lunte gerochen hat, würde Anna sie auch nicht überleben. Ich muss da jetzt rein.
Wieder spricht Reichweiler. Doch diesmal klingt seine Stimme alarmiert: »Was sagen Sie da, eine Magnetfußantenne auf dem Dach? Ja, natürlich. Aber sofort.«
Nach einer kurzen Schrecksekunde wird mir klar, wer gemeint ist. Offensichtlich hat der Kleiderschrank mein Auto entdeckt. Ich starte den Motor, lege den Rückwärtsgang ein – da klingelt mein Handy. Wilsberg, denke ich unendlich erleichtert.
Doch es ist eine Frauenstimme, die sich meldet.
»Wie war Ihr Name?«, frage ich.
»Franka Holtgreve. Ich bin die Anwältin von Herrn Wilsberg.«
»Wo ist er?«, rufe ich in das Handy.
»Er wurde von der Polizei festgenommen und hat mich gebeten, Ihnen zu sagen, dass Sie die Aktion …«
Leider ist es mir nicht möglich, den Ausführungen von Frau Holtgreve weiter zu lauschen. Der Gorilla steht neben meinem Auto, reißt die Tür auf und will mir das Telefon entwinden. Während ich mit der linken Hand versuche, den Typen abzuwehren, fahnde ich mit der rechten nach dem Reizgas in meiner Tasche. Als der Kerl den Fehler macht, einen Moment locker zu lassen, werfe ich mein Handy nach hinten und reiße die Dose aus der Tasche.
Schon die erste Ladung trifft ihn mitten ins Gesicht. Das verschafft mir genau die Zeit, die ich brauche, um rückwärts aus der Parklücke zu stoßen, den ersten Gang einzulegen und mit quietschenden Reifen davonzurasen. Im Rückspiegel beobachte ich den fluchenden Bodyguard, der sich beide Hände vors Gesicht schlägt und laut aufjault. Eine gewisse Schadenfreude kann ich mir angesichts des Veitstanzes, den er aufführt, nicht verkneifen. Allerdings hält sie nur so lange an, bis mir wieder einfällt, dass Anna mit Reichweiler allein in den Clubräumen ist. Ich muss Kontakt zu Cornfeld aufnehmen.
Im Zirkusweg lenke ich mein Auto in die erste Parklücke, die ich entdecke, klettere nach hinten und suche nach meinem Mobiltelefon. Als ich es gefunden habe, muss ich feststellen, dass es den Flug quer durch das Auto nicht überlebt hat. Es macht keinen Mucks mehr. Dafür höre ich Annas Stimme aus dem Empfänger, der bei dem kleinen Kampfeinsatz im Fußraum des Beifahrersitzes gelandet ist.
Sie schreit. Laut und gellend.
23
Wilsberg bekommt Unterstützung
»Du siehst beschissen aus«, sagte Franka.
»Danke. Ich fühle mich auch so. Hast du mit Pia Petry gesprochen?«
»Ja. Aber nur kurz. Das Gespräch wurde plötzlich unterbrochen.«
Ich schaute auf den Boden des kleinen Besprechungsraums, in den man mich gebracht hatte. Mein Magen war ein harter, schmerzender Klumpen.
»Georg«, sagte Franka sanft, »wenn ihr etwas zugestoßen wäre, hätte ich es in den Nachrichten gehört.«
»Es geht nicht nur um Pia, es geht auch um Anna.« Ich berichtete von Annas Idee, sich für den Job ihrer Schwester zu bewerben.
Franka schüttelte den Kopf. »Das ist doch Wahnsinn.«
»Ich war ja dagegen, aber …«
»Soll ich mich bei der Polizei erkundigen?«
»Nein, die dürfen nicht erfahren, dass Anna in Hamburg ist.«
»Warum nicht?«
Ich erzählte ihr auch den Rest. Stürzenbechers neue Erkenntnisse. Kemmers blutiges Ende in der Holzkiste. Und dass ausgerechnet Anna die Leiche gefunden hatte, die anschließend auf wundersame Weise verschwunden war.
»Verstehst du jetzt?«, sagte ich. »Sie ist verdächtiger als ich.«
»Sie ist sogar ziemlich verdächtig«, stimmte Franka zu. »Bist du dir sicher, dass es sich lohnt, sie zu schützen?«
»Hundertprozentig. Okay, neunundneunzigprozentig.«
»Hör zu!« Franka legte ihre Hand auf meine. »Wir machen Folgendes: Zuerst hole ich dich hier raus und dann suchen wir Pia und Anna.«
Ich nickte. Nach der zweiten Nacht, in der ich kaum geschlafen hatte, fühlte ich mich ausgelaugt und schlapp. Und so mutlos, dass ich fast alles gemacht hätte, was Franka für richtig hielt.
Sie stand auf. In ihrem grauen Hosenanzug, zu dem sie eine Perlenkette und dezentes Make-up trug, sah sie aus wie das Idealbild einer seriösen Anwältin. Dass sie mitten in der Nacht aus dem Bett gestiegen war oder es erst gar nicht aufgesucht hatte, merkte man ihr nicht an. Genauso gut hätte sie geradewegs aus einem erholsamen Wochenende
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