Todeszeichen: Ein Fall für Leitner und Grohmann (German Edition)
paar Klicks.
Da die Verurteilung so lange zurücklag und auch die Bewährungszeit längst verstrichen war, grenzte es an ein Wunder, dass überhaupt noch Informationen ihren Weg ins System gefunden hatten. Jennifer konnte sich glücklich schätzen, eine in Stichworten verfasste Skizzierung des Falles und der vorliegenden Beweise zu finden.
Was sie las, gefiel ihr nicht und ließ dennoch Hoffnung in ihr aufkeimen. Die gespeicherten Informationen machten den Ladenbesitzer zu einem potentiellen Verdächtigen. Ihren ersten Verdächtigen auf der Suche nach dem »Künstler«.
15
Charlotte machte sich am Samstagmorgen zeitig auf den Weg, nachdem sie sich per E-Mail und SMS bei den Eltern ihrer Nachhilfeschüler krankgemeldet hatte. Es war noch dunkel, als sie den Wohnwagen verließ. Die Siedlung erstreckte sich friedlich schlummernd zu beiden Seiten des Kieswegs. Es gab keine Straßenlaternen, nur hier und dort fand sich eine einzelne Lampe – meist solarbetrieben – an einem Häuschen oder in einem kleinen Vorgarten.
Herbstliche Kühle hatte sich in der Nacht ausgebreitet, und Charlotte zog die dünne Jacke fest um ihre Schultern, als sie den Weg zur Bushaltestelle einschlug. Die Stille wurde nur von ihrem Atem, der kleine Nebelwolken vor ihr in die Luft malte, und dem knirschenden Schotter unter ihren Stiefeln durchbrochen.
Sie war in Gedanken versunken. Es gab so vieles, was ihr durch den Kopf ging.
Der Zeitungsartikel und ihre bevorstehenden Recherchen.
Joshua.
Mit Ersterem versuchte sie sich zu beschäftigen, um sich Letzterem nicht zuwenden zu müssen. Doch das ständige Wiederkäuen der wenigen ihr vorliegenden Informationen konnte sie nicht davon abhalten, immer wieder an den Mann zu denken, der sie mit seinem Verhalten in tiefste Verwirrung gestürzt hatte.
Was er getan hatte, war unverzeihlich. Sie wollte ihn dafür hassen. Gleichzeitig versuchte ihr Verstand immer wieder, ihr Date und die darauffolgende Nacht mit dem in Einklang zu bringen, was Joshua am nächsten Tag getan hatte.
Er hatte zwei Seiten, zwei Gesichter.
Sosehr sie sich auch anstrengte, sich nur auf das eine Gesicht zu konzentrieren und es zum perfekten Feindbild zu stilisieren, es gelang ihr nicht. Sie konnte den Teil ihrer Gefühlswelt, der sich ihm geöffnet und in ihm jemand Besonderen gesehen hatte, einen Menschen, dem sie gerne nicht nur körperlich nähergekommen wäre, nicht einfach abschalten.
Schuld daran waren auch seine Versuche, sie zu erreichen.
Sie hatte das Handy die ganze Nacht ausgeschaltet gelassen. Am Morgen hatte das Display zwölf Anrufe in Abwesenheit angezeigt. Alle von Joshua.
Er hatte ihr zwei Nachrichten hinterlassen.
Charlotte war versucht gewesen, sie einfach zu löschen. Sie wollte nicht hören, was er zu sagen hatte.
Sie hatte Angst.
Angst davor, dass er ihr verstörende Nachrichten hinterlassen hatte, die nur dazu angetan waren, sie weiter zu quälen. Die ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigten: dass er sie nur benutzt hatte, aus welchem Grund auch immer, und sie jetzt noch dafür geißeln wollte, dass sie so bescheuert gewesen war, sich ihm anzuvertrauen.
Sie hatte Angst davor, dass er sich erklären würde. Behaupten würde, nicht für die Nachrichten verantwortlich zu sein, die man ihr geschickt hatte. Dass er sie betören würde, dass sie sich an ihre Hoffnungen klammern und ihm noch eine Chance geben würde.
Letztlich hatte sie die Nachrichten doch angehört, aber sie gaben beide nicht viel her. In der ersten fragte Joshua, wo sie stecke und warum sie ihr Handy ausgeschaltet habe. Er klang besorgt, eine Tönung, die sich in seiner zweiten Nachricht noch verstärkte. Was los sei. Er mache sich Sorgen, weil … Innehalten. Sie solle ihn zurückrufen. Bitte.
Sein Tonfall berührte sie zutiefst. Sie war drauf und dran, ihn tatsächlich anzurufen, als sie wie aus einem Traum erwachte.
Mein Gott! Bist du wahnsinnig?
Charlotte schüttelte den Kopf. Was war nur mit ihr los? Sie hatte das Gefühl, sich selbst nicht mehr zu kennen. Ihre Gedanken, ihre Gefühle und Reaktionen schienen nicht mehr die ihren zu sein. Sie fühlte sich beinahe wie ferngesteuert. Hätte sie sich Joshua doch nur nicht anvertraut! Sie selbst hatte ihn immerhin erst in die Lage versetzt, Macht über sie zu erlangen.
Sie erreichte den Parkplatz am Eingang von »Garten Eden«. Die Beleuchtung war mal wieder bis auf eine einzelne flackernde Lampe ausgefallen.
Charlottes Augen hatten sich an die Düsternis bereits
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