Todeszeichen: Ein Fall für Leitner und Grohmann (German Edition)
rauswarf oder nicht. Stand ihr Unwille ihr etwa derart deutlich ins Gesicht geschrieben?
Einen Moment lang kämpfte sie mit sich, dann rief sie sich jedoch wieder seine Chat-Nachrichten in Erinnerung. Und ihr Zorn loderte erneut auf. Sie deutete auf die Tür. »Du hast ihn gehört. Raus mit dir.«
»Charlie … «
»Verschwinde, verdammt noch mal!«
Sein ganzer Körper schien in sich zusammenzusacken, als er mit einem Kopfschütteln aufgab. Er öffnete die Tür, verharrte jedoch im letzten Moment. »So leicht lasse ich mich nicht abschütteln.«
Die Tür knallte zu.
Seine Drohung hing noch mehrere Sekunden in der Luft und wollte auch nicht weichen, als der Taxifahrer bereits losgefahren war.
Charlotte verschränkte die Hände in ihrem Schoß und drückte die Finger so fest zusammen, dass die Knöchel weiß hervortraten.
»Wohin wollen Sie denn von Hanau aus fahren?«, fragte der Taxifahrer plötzlich in die entstandene Stille hinein. »Für einen Samstag sind Sie verdammt früh unterwegs.«
Charlotte hatte gehofft, dass er nicht versuchen würde, Konversation mit ihr zu betreiben. Wenigstens sprach er sie nicht auf Joshua und seinen Auftritt an.
»Ich habe noch eine kleine Reise vor mir«, erwiderte sie aus purer Höflichkeit. Immerhin hatte er sie dabei unterstützt, Joshua loszuwerden.
»Tatsächlich?«, hakte er nach.
Sie musterte den Mann von der Seite. Das lange Haar fiel ihm bis auf die Schultern, und seine Baskenmütze verschmolz beinahe mit der viel zu groß wirkenden Brille. Irgendwie sah er merkwürdig aus, fast schon wie eine schlecht ausstaffierte Schaufensterpuppe.
»Ja, nach Baden-Württemberg«, erwiderte Charlotte. Sie versuchte, die richtige Mischung aus aufgesetzter Freundlichkeit und Abweisung zu finden. Er verstand offenbar, denn er sprach sie nicht noch einmal an.
Ihre Aufmerksamkeit wurde ohnehin immer wieder auf den Rückspiegel gelenkt, denn sie hatte nicht vergessen, wie Joshua sie in zorniger Verzweiflung angeschaut hatte, als er seine Drohung ausstieß. Sie hatten noch nicht die halbe Strecke nach Hanau zurückgelegt, als Charlotte seinen Polo entdeckte, der ihnen stetig folgte.
Vielleicht hätte sie in diesem Moment Angst verspüren sollen, doch seine Anhänglichkeit schürte nur ihre Wut. Wut auf sich selbst, weil sie ihn überhaupt an sich herangelassen hatte, und Wut auf ihn, weil er sich zu einem unberechenbaren Stalker zu entwickeln schien.
Sie dachte die ganze Zeit darüber nach, wie sie reagieren sollte, falls er einen neuerlichen Versuch unternahm, mit ihr zu reden. Spätestens am Hanauer Hauptbahnhof würde er seine Möglichkeit bekommen. Es sei denn, sie konnte den Fahrer dazu bringen, Joshua abzuhängen, aber das erschien ihr dann doch übertrieben.
Charlotte würde in den sauren Apfel beißen müssen. Dass sie sein Gerede über sich ergehen lassen musste, bedeutete noch nicht, dass sie ihm zuhörte. Und selbst wenn sie ihm zuhörte, bedeutete das noch nicht, dass sie seinen Ausführungen Glauben schenken würde.
Als der Taxifahrer auf den Parkplatz vor dem Bahnhof fuhr, klebte Joshuas Polo ihnen noch immer am Heck. Er blieb im Halteverbot stehen, stieg aus und wartete, während sie die Formalitäten der Bezahlung mit dem Fahrer regelte.
Obwohl das Taxameter einen wesentlich höheren Betrag anzeigte, hielt er sich an die mit der Zentrale vereinbarte Summe.
Als sie aus dem Auto gestiegen war, rollte das Taxi in Schrittgeschwindigkeit auf einen freien Platz beim nahen Taxistand. Offenbar wollte der Fahrer versuchen, seinen Verlust wenigstens teilweise auszugleichen, indem er eine Rückfahrt in Richtung Lemanshain ergatterte.
Charlotte schulterte ihren Rucksack und warf Joshua einen wütenden Blick zu.
Der junge Mann kam auf sie zu. In seinem Gesicht war von einer Drohgebärde nichts mehr zu sehen. Er wirkte eher wie ein geprügelter Hund.
Als sie sich abwandte, um doch noch einen Versuch zu unternehmen, von ihm fortzukommen und sich der Unterhaltung zu entziehen, hob er die Hand.
»Bitte, Charlie, ich will mit dir reden. Bitte!«
Sein Flehen berührte sie. Ein Teil von ihr wollte ihn einfach nur loswerden und ihn nie wiedersehen. Ein anderer Teil wollte ihm zuhören und ihm die Möglichkeit geben zu erklären, was eigentlich in ihn gefahren war.
Sie verschränkte die Arme vor der Brust und starrte ihn finster an. »Meinetwegen. Du hast genau eine Minute.«
Obwohl sie diese Beschränkung verdammt ernst meinte, vergrub er die Hände in den Taschen seiner
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