Todeszeichen: Ein Fall für Leitner und Grohmann (German Edition)
einer gebrochenen Nase, aus der immer noch Blut floss, konnte er unmöglich in sein Auto steigen und nach Hause fahren. Joshua wandte sich dem Taxistand zu, fest entschlossen, dem Arschloch, das Charlie hierher gefahren hatte und ihn angegangen war, auf dem Weg in die nächste Klinik das verdammte Auto vollzubluten.
Doch das Taxi war bereits verschwunden.
Er brüllte einen Fluch über den gesamten Bahnhofsvorplatz.
16
Das kleine Geschäft mit dem klangvollen Namen Un zeste de parfum lag im zweiten Stock des Einkaufszentrums, zwischen einem Mobilfunkladen und einem Friseur. Im Schaufenster waren allerhand Parfüm- und Seifenfläschchen ausgestellt, effektvoll auf dunkelblauen Samt und goldene Tücher gebettet.
Jennifer und Grohmann blieben vor dem gegenüberliegenden Geschäft stehen. Jennifer ließ den Blick unauffällig über die Schaufenster und Eingangstüren schweifen. In der Glastür der Parfümerie hing ein Schild, auf dem in altertümlicher Schreibschrift »Geöffnet« stand. Der Verkaufsraum war beleuchtet, doch es waren keine Kunden zu sehen.
Eine Frau – wahrscheinlich die Angestellte des Mannes, den sie im Visier hatten – staubte gerade die schwarzen Holzregale ab.
Jennifer wartete und biss sich auf die Unterlippe. Angespannt überlegte sie, eine Runde durch das zweite Stockwerk zu drehen, bevor irgendjemandem auffiel, dass sie und der Staatsanwalt nur scheinbar unauffällig in der Gegend herumstanden.
Wo war der Ladeninhaber?
Der Verwaltung zufolge hielt er sich im Einkaufszentrum auf. Um in den Bereich der Tiefgarage fahren zu können, der den Angestellten des Zentrums vorbehalten war, musste man sich mit einer codierten Karte anmelden. Die Codierung war personalisiert und erlaubte es den Security-Leuten, in ihren Systemen nachzuvollziehen, wer sich im Einkaufszentrum befand – vor allem außerhalb der Öffnungszeiten eine wichtige Information.
Dass der Inhaber des Un zeste de parfum bereits um neun in die Tiefgarage gefahren war, bedeutete allerdings nicht, dass er sich in seinem Geschäft aufhielt.
Die Verwaltung des Einkaufszentrums scherte sich nicht um das Gebaren der Ladeninhaber oder ihren Geschäftserfolg. Zumindest solange sie ihre Miete zahlten, telefonisch erreichbar waren und nichts taten, was den guten Ruf des Zentrums und somit auch der anderen Pächter schädigen konnte.
Ihr Mann stand bei der Verwaltung auf der sogenannten blauen Liste, was bedeutete, dass er seine Angestellte oft allein im Geschäft zurückließ, um sich die Zeit in der Spielhalle im Untergeschoss zu vertreiben. Oder erst gar nicht auftauchte und dann auch nicht zu erreichen war.
Ein paar an sich harmlose Vorfälle hatten die Verwaltung auf diesen Umstand aufmerksam gemacht. Unter anderem hatte man versucht, ihn wegen seines nicht ordnungsgemäß gereinigten Schaufensters zu sprechen – vergebens. Das war ein Verstoß gegen den Pachtvertrag, der vorschrieb, dass ein Verantwortlicher während der Öffnungszeiten seines Geschäfts vor Ort ansprechbar sein musste oder innerhalb einer halben Stunde persönlich erscheinen konnte.
Dass der Inhaber der Parfümerie seit Anfang des Jahres immer wieder durch Abwesenheit aufgefallen war, fand Jennifer mehr als nur interessant. Es war eine Tatsache, die zumindest den Einwand entkräftete, dass er als Geschäftsmann kaum die Zeit gefunden haben konnte, Frauen zu beobachten, zu entführen und zu ermorden.
Es machte ihn aber natürlich auch nicht zum Mörder.
Was sie bisher erfahren hatten, kennzeichnete ihn lediglich als einen Mann mit einer unschönen Vergangenheit. Bisher gab es keinen überzeugenden Grund anzunehmen, dass er der »Künstler« war.
Vielleicht war seine Vorstrafe ein Zufall, wer wusste das schon? Letztlich konnten sie nur mit Sicherheit sagen, dass sein Geschäft eine mögliche Verbindung darstellte.
Sie waren gekommen, um mit ihm zu reden, ihm ein paar Fragen zu stellen und ihn mit den Fotos der Opfer zu konfrontieren. Ihm ein wenig auf den Zahn zu fühlen, abzuklopfen, ob er möglicherweise irgendetwas wusste oder sich durch seine Reaktion einen Platz im einsamen Kreis der Verdächtigen reservierte.
Andernfalls hätte sie statt Grohmann einen Kollegen mitgenommen, vielleicht sogar die Schutzpolizei alarmiert. Trotzdem spürte sie ein deutliches Kribbeln an ihren Nervenenden, das sie davor warnte, einfach in den Laden zu gehen und die Angestellte nach ihrem Chef zu fragen. Jennifer wollte wissen, wo er sich befand, bevor sie den nächsten
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