Todeszeit
was ansonsten auf dem Dachboden gelagert war: Über die Hälfte der Kartons enthielt die Hinterlassenschaft von Dorothy, Hollys Großmutter, die ausgiebig Dekorationsstücke für jedes wichtige Fest gesammelt hatte.
Vor Weihnachten hatte sie immer fünfzig bis sechzig Keramikschneemänner in verschiedenen Größen und Posen aufgestellt. Noch größer war die Zahl der Weihnachtsmänner, ebenfalls aus Keramik, von denen mehr als hundert in den Kartons schlummerten. Dazu kamen Rentiere, Weihnachtsbäume, Kränze, Glöckchen und Schlitten, Sängerfigürchen und Keramikhäuschen, die man zu einem Dorf zusammenstellen konnte.
Nicht nur an Weihnachten, sondern auch an allen anderen Festen hatte Dorothy bei Weitem nicht ihre gesamte einschlägige Sammlung zur Schau stellen können. Deshalb hatte sie immer nur so viel ausgepackt und aufgestellt, wie ins Haus passte.
Holly hatte kein einziges der Stücke verkaufen wollen. Sie setzte die Tradition ihrer Großmutter fort und hoffte,
eines Tages ein größeres Haus zu besitzen, in dem die Sammlung ihre volle Pracht entfalten konnte.
So schliefen also in Hunderten von Pappschachteln nicht nur die weihnachtlichen Scharen, sondern auch Liebespärchen für den Valentinstag, Osterhasen und -lämmer, Patrioten für den Nationalfeiertag, Gespenster und schwarze Katzen für Halloween, Pilgerväter für Thanksgiving.
Das, was da im Durchgang auf dem Boden stand, war jedoch weder aus Keramik noch als Festtagsschmuck geeignet. Es handelte sich um eine Kombination elektronischer Geräte, bestehend aus einem Receiver, einem Rekorder und drei Dingern, deren Funktion Mitch unklar war.
Alle Geräte waren an einer Mehrfachsteckdose angeschlossen, deren Kabel zu einer Steckdose in der Wand führten. Kleine Lämpchen und LED-Anzeigen ließen erkennen, dass alles in Betrieb war.
Die Kidnapper hatten offenbar eine umfangreiche Überwachungseinrichtung installiert. Wahrscheinlich waren sämtliche Zimmer und Telefone im Haus mit Wanzen versehen.
Da Mitch niemanden gesehen hatte und sich deshalb sicher war, nicht beobachtet zu werden, nahm er an, dass die Geräte momentan automatisch funktionierten. Vielleicht konnte man sie auch per Funk steuern und sich die aufgenommenen Daten übertragen lassen.
Im selben Augenblick, in dem ihm dieser Gedanke kam, blinkten neue Lämpchen auf, und eine der LED-Anzeigen begann, die Sekunden abzuzählen.
Mitch hörte ein zischendes Geräusch, das eindeutig nichts mit dem laufenden Motor des Wagens unter ihm zu tun hatte, und dann die Stimme von Lieutenant Taggart.
»Ich liebe diese alten Wohnviertel. So hat es in Südkalifornien früher überall ausgesehen …«
Es waren also nicht nur die Zimmer des Hauses verwanzt. Auch auf der vorderen Veranda befand sich ein Mikrofon.
Kaum war Mitch klar geworden, dass man ihn überlistet hatte, da spürte er, wie sich die Mündung einer Pistole in seinen Nacken bohrte.
13
Mitch zuckte zusammen, versuchte jedoch nicht, sich umzudrehen und den Radschlüssel zu schwingen. Er hätte sich nicht schnell genug bewegen können, um damit Erfolg zu haben.
In den vergangenen fünf Stunden war ihm klar geworden, welche Beschränkungen er hatte. Da man ihm als Kind beigebracht hatte, er habe keinerlei Beschränkungen, sah er das durchaus positiv.
Selbst wenn er der Architekt seines Lebens sein mochte, konnte er sich nicht länger der Illusion hingeben, er sei der Herr seines Schicksals.
»… bevor man die ganzen Orangenhaine gefällt hat, um eine Wüste aus Häusern zu bauen, die alle gleich aussehen.«
Hinter ihm sagte der Mann mit der Waffe: »Lass den Radschlüssel fallen. Nicht bücken, um ihn hinzulegen! Lass ihn einfach fallen.«
Die Stimme war nicht die des Unbekannten am Telefon. Sie klang jünger und nicht so kalt. Dafür war sie erschreckend ausdruckslos, wodurch jedes Wort dieselbe Betonung und dadurch auch dasselbe Gewicht zu haben schien.
Mitch ließ das Werkzeug fallen.
»… praktischer. Ich hatte zufällig hier zu tun.«
Der Rekorder stoppte. Offenbar hatte der Mann hinter Mitch ihn mit einer Fernbedienung ausgeschaltet.
»Du willst wohl, dass wir deine Frau in Stücke schneiden und krepieren lassen, wie wir’s angekündigt haben«, sagte der Mann.
»Nein.«
»Vielleicht haben wir einen Fehler gemacht, als wir dich ausgewählt haben. Willst du deine Frau etwa loswerden?«
»Das will ich nicht!«
»Könnte ja sein, dass du eine anständige Lebensversicherung auf sie abgeschlossen hast.« Jedes
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