Todgeweiht im Münsterland - Westfalen-Krimi
Ende des 19. Jahrhunderts. Zu der Zeit hatten die Leute hier
ganz bestimmt kein Geld für Schnitzereien übrig, es sei denn, es handelte sich
um eine gute Schale oder einen anderen Gebrauchsgegenstand.«
Gedankenverloren
nahm ich mir ein weiteres Kuchenstück und biss hinein. Und dann konnte ich es
kaum abwarten, bis ich meinen Mund so weit geleert hatte, dass mir meine
anständige Erziehung erlaubte, wieder etwas zu sagen.
»Meine Mutter
besitzt genau das gleiche Kreuz, und zwar schon sehr lange. Wie ist das
möglich?«
»Das ist
eigentlich nicht möglich.« Mona zog die Augenbrauen hoch und sah abwechselnd
mich und Cornelia an. Dann stand sie abrupt auf. »Ich hole Konrad.« An mich
gewandt fügte sie hinzu: »Das ist mein Mann. Schließlich bin auch ich nur
angeheiratet.«
Kaum hatte sie die
Küche verlassen, da fuhr mich Cornelia an: »Verdammt, wir haben noch nichts
über die beiden Hovermanns erfahren, und du kommst mit irgendeinem alten Kreuz
daher.«
»Findest du es
nicht seltsam, dass meine Familie eine Handarbeit von deinem
geheimnisumwitterten Vorfahren hat? Du siehst doch sonst immer Verbindungen, wo
gar keine sind.«
»Das fände ich in
der Tat seltsam, aber ich bin überzeugt, dass du dich irrst und etwas
verwechselst.«
Wir stritten uns
noch eine Weile weiter. Plötzlich überkam mich das sehnliche Verlangen, dieses
Kreuz bei mir zu haben. Tröstlicher als diese Jesusfigur konnte kein Glaube
sein. Ich musste meine Mutter bestehlen, während sie auf Mallorca weilte, auf
ihre Rückkehr konnte ich schlecht warten.
Schneller als
erwartet kam Mona mit ihrem Konrad zurück, und eine riesige Hand umschloss die
meine wie ein Schraubstock. Als ich meine Hand wieder freibekam, wirkte sie
irgendwie kleiner. Absurd. Ein aristokratisch geschnittenes Gesicht, in dem die
Falten wie Markierungslinien aussahen, wandte sich mir prüfend zu. Konrad
setzte sich, und Mona schenkte ihm eine Tasse Kaffee ein und goss beinahe die
gleiche Menge Milch dazu.
»Sie wollen also
ein ähnliches Kreuz besitzen wie wir?«
Ich ließ mich
nicht beirren. »Es ist das gleiche Kreuz.«
Konrad kaute
schweigend an einem Stück Kuchen. Dann nickte er. »Dieses Kreuz gibt es
tatsächlich zweimal, allerdings kann es sich nicht in Ihrem Besitz befinden, es
sei denn, es ist durch Diebstahl irgendwann dorthin gelangt.«
»Wo müsste sich
das zweite Kreuz denn Ihrer Meinung nach befinden?«
»Bei den
Hovermanns. Mein Urgroßvater Alfons hat zwei nahezu identische Kreuze
gefertigt. Das eine blieb in unserer Familie, das andere hat er seinem Freund
Horst Hovermann geschenkt. Das war Weihnachten 1885. Die Jahreszahl steht
hinten eingeritzt. Diese Kreuze sollten für eine dauerhafte, freundschaftliche
und durch Ehrlichkeit geprägte Geschäftsbeziehung der beiden Familien stehen.
Diese Beziehung gab es ja auch tatsächlich, denn noch heute macht mein Sohn mit
einem Hovermann Geschäfte.«
Cornelia wagte
einen Einwurf: »Das Ganze hat aber doch nur so gut funktioniert, weil die Morde
nie bekannt wurden. Eine der Familien hat immerhin entsetzliche Schuld auf sich
geladen.« Nach kurzer Überlegung fügte sie hinzu: »Und nun ist schon wieder
jemand unterwegs und bringt Mitglieder der Familie Hovermann um. Ich verstehe
das nicht.«
»Ja«, meinte
Konrad, »nach dem Gesetz der Blutrache wäre jetzt unsere Familie an der Reihe,
Opfer zu beklagen. Mona hat mir von dem Buch erzählt. Bisher habe ich noch
keines der Bücher von Andreas gelesen, dieses Werk werde ich mir allerdings so
schnell wie möglich ansehen.«
»Was weißt du über
Thomas und Horst Hovermann? Was für einen Grund könnte es für die beiden
gegeben haben, sich nachts auf deinem Grundstück herumzutreiben?« Cornelia
stockte kurz. »Was wir wollten, weißt du ja.«
»Wie wir nun
wissen, hättet ihr dabei gut selbst das Leben lassen können. Es wäre wesentlich
sicherer und auch ehrlicher gewesen, vor einer solchen Aktion mit dem
Hauseigentümer zu sprechen.«
Diese
Zurechtweisung hatten wir zweifelsohne verdient, aber Cornelia verteidigte uns
schnell. »Hättest du mich an deiner Scheune nach einer Leiche graben lassen?«
Er zuckte mit den
Schultern und meinte: »Zumindest hätte ich mir deine Geschichte angehört. Das
tue ich jetzt ja auch.«
»Ja, ich wollte
aber keine Umstände machen, sondern nur schnell in Erfahrung bringen, wie
brisant das Buch meines Bruders wirklich ist. Meiner Meinung nach hätte er es
gar nicht schreiben dürfen. Derartige Geheimnisse sollten
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