Todgeweiht im Münsterland - Westfalen-Krimi
Störenfriede auszuschalten.«
»Cornelia, es ist
erstaunlich, nein, zutiefst erschreckend, welche Gründe du dir für einen Mord
vorstellen kannst.«
Ungefragt hatte
ich den Weg zu ihrer Wohnung eingeschlagen, änderte dann aber meinen Entschluss
und fuhr zu mir nach Hause. Als ich noch einen Parkplatz suchte, klingelte
Cornelias Handy.
Nach dem fünften
Klingelton hatte sie es endlich aus dem Nirwana ihrer Handtasche gekramt. Sie
stellte die Lautsprecherfunktion ein, sodass auch ich die herbe Stimme des
Hauptkommissars Delbrock gut verstehen konnte. Was er sagte, enttäuschte die
Gelegenheitsabenteurer. Die Polizei hatte auf der Suche nach einem möglichen
Motiv am Fundort der beiden Leichen tatsächlich eine Grabung vorgenommen. Man
hatte jedoch weder die sterblichen Überreste von Clemens Hovermann gefunden
noch einen Hinweis darauf, dass er dort jemals gelegen hatte.
»Frau Nüßing,
richten Sie Ihrem Bruder bitte aus, er möchte sich dringend bei mir melden.«
»Ich dachte, Sie
wollten einen Kollegen zu ihm nach Hause schicken?«
Cornelia plauderte
so entspannt, als machte ihr das offensichtliche Verschwinden ihres Bruders gar
nichts aus, obwohl sie sich doch seit Erscheinen seines Buches um alle
möglichen Personen zu sorgen schien. Die Reaktion des Kommissars überraschte
mich nicht.
»Frau Nüßing,
seien Sie gewiss, dass wir fast alle polizeilichen Möglichkeiten ausgeschöpft
haben, um Herrn Andreas Nüßing aufzutreiben. Sollte er sich aus
geschwisterlicher Zuneigung bei Ihnen melden, falls Sie ihn treffen oder ihn
vielleicht telepathisch erreichen, so berichten Sie ihm bitte von meinen
Bemühungen. Schöne Grüße an seinen mithörenden Lektor.«
Klick. Er hatte
aufgelegt, und ich schmunzelte.
»Komisch, Andreas
ist eigentlich ein Stubenhocker par excellence«, bemerkte Cornelia und strich
sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie starrte noch immer auf das Display
ihres Handys. Dann wählte sie, wie ich vermutete, die Nummer ihres Bruders.
»Geht nicht dran.«
Beim Aussteigen
kramte sie nach ihren Haustürschlüsseln, und ich stellte erstaunt fest, wie
wenig konzentriert man als Beifahrerin sein konnte.
»Oh, wir sind bei
dir.«
»Ich dachte, wir
versuchen, die Sache mit dem Kreuz zu klären. Interessiert dich doch bestimmt,
ob auch ich einer verbrecherischen Familie entstamme, oder?«
Ihrer Miene
entnahm ich, dass Cornelias Gedanken gerade ganz eigene Wege gingen. Ich
hoffte, dass sie nicht schon wieder eine nächtliche Aktion plante, in die ich
einbezogen wurde.
Ihre nächsten
Worte beunruhigten mich. »Wir müssen uns unbedingt das Tagebuch von Alfons
Schulze Nüßing besorgen. Mein Bruder hat es.« Ein bekräftigendes Nicken
begleitete diese Überlegung.
In der Wohnung
angekommen, fragte sie: »Sag mal, hast du ein Badezimmer?« Nun lächelte sie
mich tatsächlich an.
»Nein, ich gehe
immer rüber zur Nachbarin. Sie ist fast siebzig und nennt mich Sohn.«
Ich hätte es
wissen müssen, mit dieser Frau konnte man keine Scherze machen. Zügig strebte
sie zur Haustür, um meine unschuldige Nachbarin mit ihren Bedürfnissen zu
beglücken. Als ich sie einfing, lächelte sie schlau.
Nachdem ich
Cornelia also den Weg in mein Designerbadezimmer mit runder Badewanne und
Bose-Boxen gewiesen hatte, griff ich zum Telefon. Ein Miniatur-Briefumschlag
blinkte und wies auf eine Nachricht hin. Ich drückte die Taste zum Abhören.
»Hallo, Michael. Ich
bin es, Martin Albrecht. Ich habe etwas über deine geheimnisvolle Frau
herausgefunden.« Er machte eine Pause. »Ich bin mir aber nicht sicher, ob ich
das alles glauben kann. Ruf mich an.« Es folgte eine Handynummer.
Es war nicht etwa
so, dass ich meine eigenen Probleme vergessen hätte, während ich mich mit
Cornelia neuen Abenteuern widmete. Den Druck auf meiner Brust, das Gefühl von
Enge und Trauer wurde ich nicht los. Aber noch lebte ich, und mir schien,
niemals tat ich es so bewusst wie mit Cornelia. Ihre Aktivität, ihr schäumendes
Temperament ließen den Gedanken an mein baldiges Ende in die Ferne rücken, auch
wenn der vorhergesagte Zeitpunkt immer näher kam.
Martins Anruf
jedoch hatte den Druck in meiner Brust auf einmal so vehement verstärkt, dass
ich tief einatmen musste. Zum ersten Mal in meinem Leben verstand ich Menschen
mit Panikattacken. Wäre ich jetzt allein gewesen, ich hätte womöglich etwas
Dummes gemacht: Eine Flasche Wodka in einem Zug getrunken, Valium genommen oder
laut geweint. Keine Ahnung. Aber ich hörte, wie
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