Todgeweiht im Münsterland - Westfalen-Krimi
mir nicht ganz klar.« Cornelia zog die Stirn kraus,
ihre Gabel verharrte in der Luft. »Habt ihr das neue Buch meines Bruders
gelesen?«
»Wieso auch getötet? Wer ist denn noch ermordet worden?« Man
konnte Julia diese Frage nicht verdenken.
Ich war mir
sicher, dass diese beiden Frauen das neue Buch meines Autors noch nicht gelesen
hatten, darum bat ich Cornelia, kurz den Inhalt zu skizzieren, bevor sie noch
mehr Verwirrung stiftete.
Sie schloss ihre
Darstellung mit dem Satz: »Unsere Vorfahren haben also gleich mehrere
Hovermanns auf ihrem Gewissen, und ich hätte nach der Veröffentlichung des
Buches eigentlich Todesfälle in unserer Familie erwartet und nicht auf der
Gegenseite.«
Julia spitzte
spöttisch die Lippen. »Meine Güte, Cornelia. Es ist doch nur ein Buch!«
Mona betrachtete
ihre Schwiegertochter, sagte aber nichts. Cornelia nahm einen weiteren Bissen
von ihrem Käsekuchen und sagte dann: »Ihr habt in nur einer Nacht zwei tote
Männer auf eurem Hof gefunden, zufällig an dem Ort, den mein Bruder als letzte
Ruhestätte für den gemeuchelten Clemens Hovermann beschreibt. Ich bin überzeugt
davon, dass Clemens auf eurem Grund und Boden begraben ist und dieser Mord von
damals nun Folgen hat. Wenn auch bisher andere, als ich vermutet hätte.«
Cornelia konnte
wirklich überaus dramatisch sein. Zum Abschluss ihrer Rede hatte sie die Stimme
gesenkt und alle Anwesenden der Reihe nach mit ihren hübschen Augen fixiert.
Hätte Julia Kuchen gegessen, er wäre ihr wahrscheinlich im Halse stecken
geblieben.
»Ach, und du
meinst, wir Schulze Nüßings hätten es vielmehr verdient, nun der Reihe nach,
sozusagen als späte Sühne, das Zeitliche zu segnen?«
»Nun, du hast
vielleicht Glück, du bist nur angeheiratet.«
Angesichts der
Wendung, die das Gespräch zwischen den beiden jungen Damen nahm, erhob ich mich
und schützte ein Bedürfnis vor. Mona sprang erleichtert auf und führte mich
bereitwillig zu einem kleinen Badezimmer. Auf dem Weg dorthin durchquerten wir
einen wunderschönen großen Kaminraum, in dem tatsächlich noch Schinken zum
Räuchern hingen.
Ehe ich in die
Küche zurückkehrte, schaute ich mich in der alten Halle noch ein wenig um,
bewunderte alte Stiche an der Wand und genoss den Geruch von Holz und
Geräuchertem.
Plötzlich blieb
ich erstaunt stehen. Was ich da sah, war kaum zu glauben. Ich trat noch einen
Schritt näher an die Wand, um den Gegenstand, den ich seit meiner Kindheit gut
kannte, genauer zu betrachten. Aber wieso hing er hier an der Wand, oder besser
gesagt, warum hing hier ein exaktes Duplikat davon?
Vorsichtig
streckte ich die Hand aus und berührte das vertraute Holzkreuz mit der
handgeschnitzten Jesusfigur. Dieser Jesus war insofern etwas Besonderes, als er
nicht wie sonst leidend am Kreuz hing. Stattdessen sah er den Betrachter an,
tröstlich, aufmunternd und scheinbar voller Hoffnung auf das, was nach dem Tode
am Kreuz kommen würde. Die Figur war zierlich geschnitzt und wunderschön. Sie
war ein Erbstück unserer Familie, wie mir meine Mutter erzählt hatte. Sollte
der Künstler das Werk zweimal angefertigt haben?
Aufgewühlt kehrte
ich in die Küche zurück. Die angespannte Stimmung zwischen den beiden jüngeren
Damen hatte ich bereits vergessen. Julia Schulze Nüßing saß nicht mehr am
Tisch, nur Mona und Cornelia unterhielten sich angeregt über einzelne
Mitglieder ihrer großen Familie, die mir zunehmend mysteriös vorkam. Ich war
schon kurz davor, an den Fingernägeln zu kauen, als sich endlich im Gespräch der
beiden Frauen eine Pause bot. »Frau Schulze Nüßing, ich habe eine Frage zu
diesem selten schönen Kreuz, das in Ihrer Eingangshalle hängt. Wissen Sie, wer
der Künstler ist?«
Die sympathische
Frau lächelte leise. »O ja, das weiß ich sogar sehr gut. Das war Alfons Schulze
Nüßing. Er schnitzte nicht oft, aber wenn er es tat, waren es wunderschöne
Arbeiten.«
» Dieser Alfons Schulze Nüßing?«
Ich hätte gern
gewusst, ob der Mann das Kreuz vor seinem Mord an Clemens Hovermann oder nach
der frevelhaften Tat angefertigt hatte. Konnte man nach einer derartigen
Bluttat überhaupt solch eine schöne, huldvolle Jesusgestalt schnitzen? Oder
hatte Alfons es gerade deshalb so gemacht, verzweifelt und gleichzeitig voller
Reue, in der Hoffnung darauf, dass dereinst gnädig mit ihm verfahren werde?
»Hat er seine
Arbeiten verkauft?«
Diesmal lachte
Mona laut. »Du lieber Gott, nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Er war
Landwirt und lebte
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