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Todsünde

Todsünde

Titel: Todsünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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Schultern, und es war beinahe schon wieder die alte Rizzoli, die mit erhobenem Haupt zur Tür hinausstolzierte.
    Wieder ertönte das scheppernde Läuten der Türglocke. Maura sah aus dem Fenster und beobachtete, wie die alte Nonne aus dem Haus kam und ein weiteres Mal mit schlurfenden Schritten zur Pforte ging. Doch dieser neue Besucher musste sich offensichtlich nicht ausweisen, denn die Nonne öffnete sofort das Tor. Ein Mann in einem langen schwarzen Mantel trat in den Hof und legte der Nonne die Hand auf die Schulter – eine tröstende und vertrauliche Geste. Gemeinsam gingen sie auf das Haus zu, wobei der Mann bewusst seine Schritte verlangsamte, um sich dem arthritischen Gang der Schwester anzupassen. Er neigte den Kopf zu ihr herab, als wollte er nichts von dem verpassen, was sie ihm zu sagen hatte.
    Auf halbem Wege blieb er plötzlich stehen und blickte auf, als hätte er gespürt, dass Maura ihn beobachtete.
    Für einen Sekundenbruchteil trafen sich ihre Blicke durch das Fenster. Sie sah ein hageres, ausdrucksvolles Gesicht und einen schwarzen, vom Wind zerzausten Haarschopf. Und unter dem hochgeklappten Mantelkragen sah sie ganz kurz etwas Weißes aufblitzen.
    Ein Priester.
    Als Mrs. Otis gemeldet hatte, Pater Brophy sei auf dem Weg zum Kloster, hatte Maura sich einen älteren, grauhaarigen Mann vorgestellt. Aber der Mann, der jetzt zu ihr aufblickte, war jünger – allenfalls vierzig.
    An der Seite der Nonne ging er weiter auf das Haus zu, und bald hatte Maura ihn aus den Augen verloren. Der Innenhof lag wieder verlassen da, doch der zertrampelte Schnee bewahrte die Spuren all derer, die ihn an diesem Morgen überquert hatten. Bald würde der Transporter der Gerichtsmedizin eintreffen, und die Männer mit der Bahre würden die Sammlung von Fußabdrücken noch weiter vergrößern.
    Sie holte tief Luft. Es graute ihr bei der Vorstellung, in die eiskalte Kapelle zurückgehen zu müssen, beim Gedanken an die traurige Aufgabe, die vor ihr lag. Sie verließ das Zimmer und ging nach unten, um auf das Eintreffen ihrer Mitarbeiter zu warten.

3
    Jane Rizzoli stand am Waschbecken in der Toilette und starrte in den Spiegel. Was sie dort sah, gefiel ihr ganz und gar nicht. Unwillkürlich musste sie sich mit der eleganten Dr.Isles vergleichen, die stets eine so majestätische Gelassenheit und Souveränität ausstrahlte, mit ihrem perfekt frisierten schwarzen Haar, dem glänzenden roten Lippenstift und dem makellosen Teint. Das Gesicht, das Rizzoli aus dem Spiegel entgegenblickte, war weder gelassen noch makellos. Ihre Haare waren ein wirrer Mopp, und die schwarzen Locken ließen das Gesicht, das sie umrahmten, noch blasser und ausgezehrter wirken, als es ohnehin schon war. Ich bin nicht mehr ich selbst, dachte sie. Ich erkenne die Frau dort im Spiegel gar nicht wieder. Wann habe ich mich in diese Fremde verwandelt?
    Erneut überkam sie eine plötzliche Welle von Übelkeit. Sie kniff die Augen zusammen, kämpfte mit aller Kraft gegen das Gefühl an, so hartnäckig und verbissen, als hinge ihr Leben davon ab. Doch all ihre Willenskraft reichte nicht aus, um das Unvermeidliche zu vermeiden. Sie presste die Hand auf den Mund und riss die Tür der nächsten Kabine auf – keine Sekunde zu früh. Auch nachdem ihr Magen sich entleert hatte, verharrte sie noch ganze Weile mit dem Kopf über der Schüssel und wagte sich nicht aus der Kabine heraus. Es muss die Grippe sein, dachte sie verzweifelt. Bitte, lass es die Grippe sein.
    Als die Übelkeit schließlich verflogen war, fühlte sie sich unendlich schlapp. Sie setzte sich auf den Toilettendeckel und ließ sich erschöpft gegen die Seitenwand der Kabine sinken. Sie dachte an die Aufgaben, die vor ihr lagen. All die Vernehmungen, die es zu führen galt, das frustrierende Unterfangen, dieser Gemeinschaft geschockter, sprachloser Frauen die nötigen Informationen zu entlocken. Und das ständige Herumstehen, das war das Allerschlimmste – das ermüdende Herumstehen und Warten, bis die Kollegen von der Spurensicherung ihre langwierige mikroskopische Schatzsuche abgeschlossen hatten. Normalerweise war sie es, die am eifrigsten und unermüdlichsten nach Spuren suchte, die an jedem Tatort, an den sie gerufen wurde, sofort das Heft in die Hand nahm. Und jetzt hockte sie hier und verbarrikadierte sich in der Toilette; und es kostete sie allergrößte Überwindung, ins Kampfgetümmel zurückzukehren, dorthin, wo sie sich sonst immer am wohlsten fühlte. Viel lieber hätte sie sich

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