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Todsünde

Todsünde

Titel: Todsünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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habe, an den Weihnachtsmann zu glauben. Die Firmung habe ich schon nicht mehr mitgemacht, was mir mein Dad bis heute übel nimmt. Mein Gott, was für eine langweilige Garderobe! Mal sehen, soll ich heute die schwarze oder die braune Tracht anziehen? Was bringt ein normales Mädchen dazu, Nonne werden zu wollen?«
    »Nicht alle Nonnen tragen eine Tracht. Jedenfalls seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil nicht mehr.«
    »Schon, aber an der Geschichte mit der Keuschheit hat sich doch nichts geändert. Stellen Sie sich mal vor, Sie dürften für den Rest Ihres Lebens keinen Sex mehr haben.«
    »Ich weiß nicht«, erwiderte Maura. »Es wäre vielleicht sogar eine Erleichterung, nicht mehr an Männer denken zu müssen.«
    »Ich bin mir nicht sicher, ob das überhaupt geht.« Rizzoli schloss die Tür des Wandschranks und blickte sich suchend im Zimmer um.
    Was hoffte sie zu finden? Den Schlüssel zu Camilles Persönlichkeit? Die Erklärung dafür, dass ihr Leben so früh und so brutal ausgelöscht worden war? Maura konnte hier nichts erkennen, was sie einer Antwort auf diese Fragen näher gebracht hätte. Dieses Zimmer war so keimfrei, dass kaum Spuren seiner Bewohnerin darin zu finden waren. Und das war vielleicht der aufschlussreichste Hinweis auf Camilles Charakter. Eine junge Frau, die unermüdlich putzte und scheuerte im ständigen Kampf gegen den Schmutz. Gegen die Sünde?
    Rizzoli ging zum Bett und ließ sich auf Hände und Knie nieder, um einen Blick darunter zu werfen. »Mensch, das ist so blitzsauber hier unten, dass man vom Boden essen könnte!«
    Der Wind rüttelte am Fenster, und der Eisregen prasselte gegen die Scheibe. Maura drehte sich wieder um und sah, wie Frost mit den Männern von der Spurensicherung auf die Kapelle zuging. Einer der Beamten rutschte plötzlich auf dem vereisten Pflaster aus und ruderte wild mit den Armen, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Wir müssen alle aufpassen, dass wir nicht straucheln, dachte Maura. Wir müssen ständig gegen die Versuchung ankämpfen, so wie dieser Mann eben gegen die Schwerkraft. Und wenn wir dann doch fallen, sind wir jedes Mal vollkommen überrascht.
    Das Team verschwand in der Kapelle, und sie stellte sich vor, wie sie dort stumm im Kreis standen und auf Schwester Ursulas Blut hinabblickten, während ihr Atem in weißen Dampfwolken aufstieg.
    Ein polterndes Geräusch hinter ihrem Rücken ließ sie herumfahren. Erschrocken sah sie Rizzoli neben dem umgefallenen Stuhl am Boden sitzen, den Kopf zwischen die Knie gesenkt.
    »Jane.« Maura kniete neben ihr. »Jane?«
    Rizzoli machte eine abwehrende Handbewegung. »Ist schon gut, mir fehlt nichts.«
    »Was ist passiert?«
    »Ich bin nur ... Ich glaube, ich bin zu schnell aufgestanden.
    Mir ist bloß ein bisschen schwindlig ...« Rizzoli versuchte sich aufzurichten, ließ aber den Kopf gleich wieder sinken.
    »Sie sollten sich hinlegen.«
    »Ich muss mich nicht hinlegen. Lassen Sie mir nur ein bisschen Zeit, bis ich wieder klar im Kopf bin.«
    Maura erinnerte sich daran, wie schlecht Rizzoli in der Kapelle ausgesehen hatte: die ungesunde Blässe, die dunkel angelaufenen Lippen. Sie hatte es auf die Unterkühlung zurückgeführt, doch jetzt waren sie in einem warmen Zimmer, und Rizzoli sah noch genauso bleich und mitgenommen aus wie zuvor.
    »Haben Sie heute Morgen gefrühstückt?«, fragte Maura.
    »Hm ...«
    »Können Sie sich nicht erinnern?«
    »Doch, ich habe wohl irgendwas gegessen. Ein bisschen jedenfalls.«
    »Was heißt das genau?«
    »Eine Scheibe Toast, okay?« Rizzoli schüttelte Mauras Hand ab, eine unwillige Geste, mit der sie die angebotene Hilfe harsch zurückwies. Es war dieser glühende Stolz, der es manchmal so schwierig machte, mit ihr zu arbeiten. »Ich glaube, ich kriege die Grippe.«
    »Sind Sie sicher, dass es weiter nichts ist?«
    Rizzoli strich sich mit einer unwirschen Bewegung die Haare aus dem Gesicht und setzte sich kerzengerade auf.
    »Ja. Und ich hätte heute Morgen nicht so viel Kaffee trinken sollen.«
    »Wie viel?«
    »Drei Tassen, vielleicht vier.«
    »Ist das nicht ein bisschen zu viel des Guten?«
    »Ich brauchte das Koffein. Aber jetzt frisst mir das Zeug ein Loch in die Magenwand. Mir ist kotzübel.«
    »Ich gehe mit Ihnen zur Toilette.«
    »Nein.« Rizzoli scheuchte sie weg. »Ich schaffe das schon allein, okay?« Vorsichtig richtete sie sich auf und blieb einen Moment lang stehen, als traute sie ihren Beinen nicht recht zu, sie zu tragen. Dann straffte sie die

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