Todsünde
Titelseiten halten würde.
Die Bedienung brachte ihnen das Essen. Rizzolis Bestellungen nahmen den größten Teil des Tisches ein; es sah aus wie bei einer Familienfeier. Gierig stürzte sie sich auf ihr Essen und verbrannte sich gleich an den Pommes frites den Mund, so dass sie mit eisgekühlter Cola löschen musste.
Korsak schien seine neunmalklugen Kommentare zu gebratenen Speisen schon wieder vergessen haben, so sehnsüchtig beäugte er Rizzolis Zwiebelringe. Dann sah er auf seinen gegrillten Fisch herab, seufzte vernehmlich und griff zur Gabel.
»Möchten Sie ein paar Zwiebelringe?«, fragte sie.
»Nein, danke. Ich sag’s Ihnen, ich kremple mein Leben völlig um. Dieser Herzinfarkt war vielleicht das Beste, was mir überhaupt passieren konnte.«
»Ist das Ihr Ernst?«
»Klar. Ich nehme ab, ich hab das Rauchen aufgegeben. Und wissen Sie was, ich glaube, mir wachsen neuerdings wieder mehr
Haare.« Er senkte den Kopf, um ihr seine kahle Stelle zu zeigen.
Wenn irgendwo Haare wuchsen, dachte sie, dann in seinem Kopf und nicht darauf.
»Ja, ja, bei mir hat sich so einiges getan«, sagte er.
Er verstummte und wandte sich seinem Lachs zu. Doch er schien keine rechte Freude daran zu haben. Am liebsten hätte sie ihm aus purem Mitleid ihren Teller mit den Zwiebelringen zugeschoben.
Doch als er wieder aufblickte, sah er sie an und nicht ihr Essen. »Bei mir zu Hause hat sich auch so manches verändert.«
Irgendetwas am Tonfall seiner Bemerkung machte sie nervös. Die Art, wie er sie ansah – als wollte er vor ihr seine Seele entblößen. Ihr graute jetzt schon vor den unschönen Details, die er vor ihr ausbreiten würde, doch sie konnte sehen, wie er darauf brannte, sich jemandem anzuvertrauen.
»Was tut sich denn bei Ihnen zu Hause?«, fragte sie. Sie ahnte schon, was jetzt kommen würde.
»Diane und ich – na, Sie wissen doch, was da so abgelaufen ist. Sie haben sie ja kennen gelernt.«
Sie hatte Diane zum ersten Mal auf der Intensivstation gesehen, wo Korsak nach seinem Herzinfarkt behandelt worden war. Schon bei ihrer ersten Begegnung waren ihr Dianes schleppende, undeutliche Aussprache und ihr glasiger Blick aufgefallen. Die Frau war eine wandelnde Apotheke, voll gepumpt mit Valium, Kodein – was immer sie von ihren Ärzten erbetteln konnte. Korsak hatte Rizzoli erzählt, dass sie schon seit Jahren unter dieser Tablettensucht litt; doch er hatte weiter zu seiner Frau gestanden, wenn auch nur, weil das nun einmal von einem Ehemann erwartet wurde.
»Wie geht es Diane?«, fragte sie. »Unverändert. Immer noch ständig high.«
»Sie sagten doch, es habe sich einiges geändert.«
»Das stimmt auch. Ich habe mich von ihr getrennt.«
Sie wusste genau, dass er nur auf ihre Reaktion wartete. Sie starrte ihn an. Sollte sie sich für ihn freuen oder sollte sie erschüttert sein? Sie war sich nicht sicher, was er erwartete.
»Mein Gott, Korsak«, sagte sie schließlich. »Sind Sie sich wirklich sicher?«
»Ich war mir noch nie in meinem ganzen Leben so sicher. Nächste Woche ziehe ich aus. Hab hier in Jamaica Plain ’ne kleine Junggesellenbude gefunden. Die werde ich mir genau so einrichten, wie’s mir passt. Also mit Breitbild-Fernseher und so richtig fetten Boxen, die einem das Trommelfell wegblasen.«
Er ist vierundfünfzig, hat einen Herzinfarkt hinter sich und will sich jetzt kopfüber in sein neues Leben stürzen. Und benimmt sich dabei wie ein Teenager, der es kaum erwarten kann, in seine erste eigene Wohnung einzuziehen.
»Sie wird gar nicht merken, dass ich nicht mehr da bin. Solange ich nur schön weiter ihre Apothekerrechnungen bezahle, ist sie glücklich und zufrieden. Mensch, ich weiß gar nicht, warum ich so lange damit gewartet habe. Mein halbes Leben hab ich vergeudet, aber ich sage Ihnen was, jetzt ist Schluss damit. Von jetzt an werde ich jede Minute genießen.«
»Was ist denn mit Ihrer Tochter? Was sagt die dazu?«
Er schnaubte verächtlich. »Der ist das doch völlig schnuppe. Das Einzige, was die von mir will, ist Geld. Daddy, ich brauche ein neues Auto. Daddy, ich will nach Cancún. Glauben Sie, dass ich jemals in Cancún war?«
Sie lehnte sich zurück und blickte ihn über ihre Zwiebelringe hinweg an, die langsam kalt wurden. »Wissen Sie wirklich, was Sie da tun?«
»Ja. Ich nehme mein Leben selbst in die Hand.« Er schwieg einen Moment und sagte dann mit leicht vorwurfsvollem Unterton: »Ich dachte, Sie würden sich für mich freuen.«
»Das tue ich auch.
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