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Todsünde

Todsünde

Titel: Todsünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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ständig.«
    »Wollen Sie behaupten, dass Sie nicht anders sind als irgendein Mann?«
    »Jetzt kommen Sie mir bloß nicht mit irgendwelchen blöden sexistischen Theorien.«
    »Nein, natürlich nicht. Aber wollen Sie wirklich behaupten, dass es Ihnen gar nichts ausmacht? Er lässt Sie sitzen, und Sie finden das ganz prima?«
    Sie sah ihn durchdringend an. »Ich komme schon klar damit.«
    »Na, das freut mich. Er ist es nämlich nicht wert, Rizzoli. Er ist es nicht wert, dass man ihm auch nur eine Sekunde nachtrauert. Und das werde ich ihm auch sagen, wenn er mir noch mal unter die Augen kommt.«
    »Warum tun Sie das?«
    »Was?«
    »Warum mischen Sie sich ein? Warum spielen Sie sich so auf? Ich brauche das nicht. Ich habe schon genug Probleme.«
    »Das weiß ich.«
    »Und Sie machen alles bloß noch schlimmer.«
    Er sah sie eine Weile mit großen Augen an. Dann senkte er den Blick. »Es tut mir Leid«, sagte er leise. »Aber wissen Sie, ich will doch einfach nur Ihr Freund sein.«
    Er hätte nichts sagen können, was sie so im Innersten getroffen hätte wie diese Worte. Sie musste gegen die Tränen ankämpfen, als sie die kahle Stelle auf seinem gesenkten Kopf betrachtete. Es gab Momente, da stieß er sie ab, und es gab Momente, da brachte er sie zur Weißglut.
    Und dann gab es Momente, in denen sie ihn ganz plötzlich so sah, wie er wirklich war – ein hochanständiger Mann mit einem großen Herzen –, und dann schämte sie sich für ihre Unduldsamkeit ihm gegenüber.
    Schweigend zogen sie ihre Mäntel an und verließen Doyle’s Bar. Aus einer Wolke von Tabakrauch traten sie hinaus in die kalte Nachtluft und den funkelnden Neuschnee. Ein paar Häuser weiter fuhr ein Streifenwagen vom Revier Jamaica Plain los. Ein schimmernder Schleier aus Schneeflocken hüllte sein Blaulicht ein. Sie sahen dem davonbrausenden Wagen nach, und Rizzoli
    fragte sich, welche Krise das Team wohl erwartete. Immer gab es irgendwo eine Krise. Streitende, prügelnde Paare. Verirrte und vermisste Kinder. Geschockte Fahrer, die neben den Wracks ihrer Autos kauerten. So viele verschiedene Schicksale, auf tausenderlei Arten miteinander verwoben. Die meisten Menschen verbarrikadieren sich erfolgreich in ihrem eigenen kleinen Winkel des Universums. Ein Polizist bekommt das ganze Elend zu sehen.
    »Was machen Sie eigentlich an Weihnachten?«, fragte er.
    »Ich bin bei meinen Eltern. Mein Bruder Frankie kommt über die Feiertage nach Hause.«
    »Das ist doch der, der bei den Marines ist, nicht wahr?«
    »Ja. Wenn er aufkreuzt, erwartet er, dass die ganze Familie vor ihm auf die Knie fällt und ihm huldigt.«
    »O weh. Höre ich da eine gewisse Geschwisterrivalität heraus?«
    »Nein, den Kampf hab ich schon längst verloren. Frankie ist der unumstrittene Boss. Und was haben Sie Weihnachten vor?«
    Er zuckte mit den Achseln. »Weiß ich noch nicht.«
    Seine Antwort war ein unausgesprochenes, aber dennoch unmissverständliches Flehen um eine Einladung. Rette mich vor einem einsamen Weihnachtsfest. Rette mich vor meinem eigenen verkorksten Leben. Aber sie konnte ihn nicht retten. Sie konnte nicht einmal sich selbst retten.
    »Ich habe da so diverse Pläne«, fügte er eilig hinzu. Es hätte sich nicht mit seinem Stolz vertragen, das Schweigen zu lange auszudehnen. »Vielleicht fliege ich nach Florida und besuche meine Schwester.«
    »Hört sich gut an.« Sie seufzte und stieß dabei eine weiße Dampfwolke aus. »Also, jetzt muss ich aber nach Hause – ich habe einiges an Schlaf nachzuholen.«
    »Wenn Sie mal wieder Lust auf einen Schwatz haben – Sie haben ja meine Handynummer, oder?«
    »Ja, die hab ich. Fröhliche Weihnachten.« Sie ging auf ihren Wagen zu.
    »Ach, Rizzoli?«
    »Ja?«
    »Ich weiß, dass Sie noch an Dean hängen. Es tut mir Leid, was ich über ihn gesagt habe. Ich finde eben nur, dass Sie eine bessere Partie machen könnten.«
    Sie lachte. »Als ob die Männer bei mir Schlange stehen würden.«
    »Na ja«, meinte er und blickte die Straße hinunter, als könnte er ihr plötzlich nicht mehr in die Augen schauen.
    »Einen gäbe es da schon.« Sie hielt erschrocken inne und dachte nur: Bitte, tu mir das nicht an. Zwing mich nicht, dir wehzutun.
    Doch bevor sie etwas erwidern konnte, hatte er sich schon abrupt zu seinem Wagen umgedreht. Er winkte ihr flüchtig zu, bevor er um die Motorhaube herumging und sich ans Steuer setzte. Sie sah ihm nach, als er davonfuhr, und starrte gedankenverloren auf die glitzernde Schneewolke, die unter den

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