Todtsteltzers Ehre
tut der Kopf weh; der Rücken bringt mich
um, und die Füße spüre ich gar nicht mehr. Es nützt nichts, mir
etwas Eindrucksvolles zu zeigen, wenn ich die Augen nicht
mal lange genug offen halten kann, um sie darauf einzustellen.«
»Menschliche Schwäche. Du hast ja keine Vorstellung, wie
schön es für mich ist, das alles hinter mir zu haben.«
»Also«, sagte Daniel und blickte müde zum Vater auf. »Wie
ist es, tot zu sein?«
»Unkompliziert. Keine Zwänge oder Einschränkungen mehr.
Mir steht es frei zu tun, was nötig ist, ohne die Nachteile der
Moral, der Ehre oder des Mitgefühls.«
»In diesem Glauben hast du mich aber nicht erzogen. Du hast
immer gesagt, ein Mann wäre nichts ohne die Ehre. Daß es die
Ehre wäre, die dem Leben Sinn verleiht.«
»Solchen einschränkenden Unfug habe ich hinter mir gelassen. Derartige menschliche Abstraktionen stehen nur der Effizienz im Weg.«
»Meinst du damit auch Gefühle?« fragte Daniel leise. »Fühlst
du nichts mehr?«
»Nein«, antwortete Jakob. »In mir ist kein Raum mehr für
solche Schwächen.«
»Und du vermißt die Familie nicht mehr? Den Clan Wolf?«
»Das ist Vergangenheit. Ich lebe in der Zukunft.«
»Erinnerst du dich an mich, Vater? Ich meine, weißt du wirklich noch, wer ich bin und was wir einander bedeutet haben?«
Jakob runzelte die Stirn und schien zum ersten Mal aus Unsicherheit zu stocken. »Ich war Jakob Wolf. Das ist mir klar. Ich
habe umfassenden Zugriff auf alle Erinnerungen in seinem
Hirn oder dem, was davon übrig ist. Ich erkenne, welche Beziehung zwischen Daniel und Jakob Wolf bestanden hat. Ich
weiß … daß wir uns nicht nahegestanden haben. Nicht so nahe,
wie es möglich gewesen wäre. Ich weiß, daß ich zwar viel gewonnen habe, es aber auch einige Dinge gibt … die mir verlorengegangen sind.«
»Ich habe einen langen Weg zurückgelegt und bin durch die
Hölle gegangen, um dich zu finden. Sagt dir das nicht etwas?«
»Doch. Du hast einen langen Weg zurückgelegt, Daniel.«
»Ich liebe dich, Vater.«
»Natürlich tust du das.« Jakob wandte sich ab. »Komm. Wir
müssen weitergehen. Es warten noch Wunder und Schrecknisse
auf dich.«
Daniel rappelte sich unter Schmerzen auf und folgte Jakobs
techgetriebener Leiche durch einen weiteren Parcours aus unverständlichen Maschinen und Räumen, deren Form keinen
Sinn ergab. Daniel schwitzte kräftig in dem durchsichtigen
Anzug, der die Flüssigkeit sofort aufsaugte. Sein Mund war so
trocken, daß er den Schweiß aufleckte, der durch die kleine
Freifläche vor dem Gesicht tropfte, aber das Salz verschlimmerte den Durst nur. Vor Erschöpfung schwamm ihm der
Kopf, und er hatte noch immer nicht die blasseste Vorstellung
davon, wie er zusammen mit seinem Vater sicher von Shub fliehen konnte. Er hatte keine Ahnung, in welcher Richtung
sein angedocktes Schiff lag. Er hatte sich nur überlegt, vielleicht irgendwie das Teleportationssystem von Shub zu benutzen, aber genau dieses System schien ihm Jakob als einziges
nicht gezeigt zu haben. Schließlich warf Daniel die Frage selbst
auf, und er hoffte, daß es beiläufig klang.
»Entschuldige die Frage, aber warum gehen wir nur, wenn
wir doch teleportieren könnten? Sicherlich ginge das viel
schneller. Und wäre effizienter.«
»Teleportation verbraucht zuviel Energie, um sie auf triviale
Dinge zu vergeuden«, entgegnete Jakob. »Sie ist überhaupt nur
praktisch, weil der ganze Planet im Grunde eine große Energiestation ist. Und ein großer Teil der Energie fließt in das planetare Kraftfeld und seine extradimensionalen Eigenschaften.
Außerdem wird dir ein bißchen Training nur guttun, mein Junge. Du hast dich schon immer zu sehr auf Körperläden verlassen.«
Helle, strahlende Lichter schwebten vor ihnen in der Luft,
jeweils eigenständige Wolken aus wechselnden Farben. Sie
waren fast hypnotisch schön, und zunächst blieb Daniel stehen
und lächelte. Die seltsamen Farben schienen ihm jedoch durch
die Augen ins Hirn zu sickern und die Gedanken zu verkleben,
und wenig später hämmerte ihm der Schädel im Rhythmus der
immer wieder aufflammenden Lichter.
»Was zum Teufel ist das?« fragte Daniel, wandte den Blick
ab und bohrte sich die Fingerknöchel durch den Anzug in die
tränenden Augen.
»Die KIs denken laut«, erklärte Jakob. »Oder sie träumen. Im
Grunde ist es dasselbe.«
Nach einer Weile verblaßten die Lichter. Jakob ging weiter,
gefolgt von dem müden Daniel. Sie kamen an Säulen aus glänzendem Stahl
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