Todtstelzers Krieg
Kontrollworte in
ihrem Gehirn hielten sie sicherer fest, als es jede Fessel vermocht hätte. Sie hatte noch kein Dutzend Worte von sich gegeben, seit sie an Bord der Herausforderung gekommen war.
Sowohl Owen als auch Hazel hatten versucht, ein Gespräch mit
ihr zu beginnen; doch Marie reagierte nur auf Imperiale Befehle und auf sonst gar nichts. Sie starrte mit leerem Blick auf das
Ding im Tank und schien weder von seiner Erscheinung noch
von dem widerlichen Gestank beeindruckt .
»Also schön«, begann Kapitän Bartek und wandte sich an
Owen und Hazel. »Was haltet Ihr von unserer wunderbaren
Schöpfung?«
Owen rümpfte die Nase. »Sieht aus wie eins der eher enttäuschenden Erzeugnisse aus Gottes Enddarm. Riecht auch genauso, wenn Ihr mich fragt. Habt Ihr noch nie etwas von Luftreinigern gehört?«
Razor schlug zu, und Owen wäre fast gestürzt. Hazel trat den
Investigator gegen das Knie – mehr erlaubten ihre Ketten einfach nicht. Razor schlug ihr ins Gesicht, so daß Hazel aus
Mund und Nase blutete. Sie lehnte sich gegen Owen, und
Owen lehnte sich gegen sie, und gemeinsam funkelten sie den
Investigator machtlos an. Er lächelte nicht. Das war auch gar
nicht nötig. Marie beobachtete die Szene ungerührt und mit
leerem Gesichtsausdruck. Die Kontrollworte summten unablässig in ihrem Unterbewußtsein wie ein Schwarm wütender Bienen, und trotzdem war ein Teil von ihr noch in der Lage, klare
Gedanken zu fassen. Sie behielt es für sich, versteckte es so tief
in ihrem Innern, daß nicht einmal ein anderer Esper es erkennen konnte. Sie hatte sich selbst wie aus großer Entfernung
dabei beobachtet, wie sie Investigator Topas niedergeschlagen
hatte. Sie war hilflos in ihrem eigenen Körper gefangen gewesen. Sie ging davon aus, daß Topas tot war, sonst hätte man sie
ebenfalls hergeschafft. Marie, die geschworen hatte, nie wieder
einen Menschen zu töten, hatte ihre beste Freundin umgebracht. Das Entsetzen und die Gewissensqual bei dem Gedanken daran drohten sie zu überwältigen; doch auch das behielt
sie für sich.
Bartek packte ihren Arm und führte sie zum Tank. Sie folgte
ihm ohne jeden Widerstand.
»Hallo, Legion«, sagte Bartek. »Ich habe jemanden mitgebracht, den du sicher kennenlernen möchtest. Das hier ist die
Typhus-Marie. Sie ist eine Sirene, und obendrein einer der
mächtigsten Esper im gesamten Imperium.«
Willkommen, Marie, sagte Legion mit seinen vielen Stimmen. Owen grunzte erschrocken, als der widernatürliche Chor
in seinem Kopf ertönte. Das Geräusch war schwer und erstikkend wie der Gestank von faulendem Obst. Hazel schüttelte
den Kopf, als könne sie so die Stimmen vertreiben. Marie zeigte überhaupt keine Reaktion. Legion sprach mit vielen Stimmen zugleich, eine entsetzliche Harmonie aus männlichen und
weiblichen Kehlen, aus jungen und alten, lebenden und toten.
Und im Hintergrund hörten sie alle ganz, ganz schwach die
Schreie von Tausenden von hilflosen Geistern, die dazu verdammt waren, in einer von Menschenhand erschaffenen, lebenden Hölle dahinzuvegetieren.
I c h bin ja so froh, daß du kommen konntest, Marie, sagte Legion. Sie werden dein Gehirn aus deinem Schädel reißen und
es zu einem Teil von mir machen. All deine Macht und deine
Lieder werden mir gehören. Ich werde dafür sorgen, daß sie
unten in den Straßen von Nebelhafen gehört werden, glaube
mir. Schon jetzt jammern und zittern sie beim Klang meiner
Stimme, aber mit deinen Liedern werde ich durch ihre Köpfe
trampeln und mit meinen schmutzigen Fingern in ihren Seelen
rühren. Sie werden alle nach meiner Melodie tanzen, oder sie
werden einen schrecklichen Tod sterben.
»Nun?« erkundigte sich Bartek nach einer Weile. »Sprich mit
Legion, Marie . «
»Wer ist das, den ich da höre?« fragte Marie, »Die Gehirne
oder die Würmer darin?«
Das wirst du bald selbst herausfinden.
»Warum verletzt und tötest du deine Esperkameraden? Sie
sind von deiner Art.«
Weil es Spaß macht. Und weil ich es kann. Ich bin nicht wie
sie. Oder wie du. So etwas wie mich hat es noch nie gegeben.
Es gibt keine Grenzen für mein Wachstum, und es gibt keine
Grenzen für meine Macht. Nenn mich Legion. Ich bin groß,
und ich bin viele. Eines Tages werden alle Esper ein Teil von
mir sein. Dieser Tank wird mich nicht für immer festhalten.
Und die Menschheit sollte auf der Hut sein vor dem Tag, an
dem ich mich befreie. Alles Leben sollte auf der Hut sein.
Die Typhus-Marie sah ihre Zukunft vor ihrem
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