Todtstelzers Schicksal
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NTERBEWUSSTEIN ZUR Ü BERSEELE
Es war einmal eine schlichte Esperin namens Diana Vertue,
aber seither hatte sich die Lage ziemlich verkompliziert. Als
Johana Wahn war Diana eine harte Terroristin und eine Heilige
der Mater Mundi gewesen, aber beiden Rollen entwuchs sie
anschließend wieder. Danach forschte sie nach den Tatsachen
ihrer Existenz, der Bedeutung und dem Zweck der Ereignisse,
die ihr Leben geformt hatten, und zu ihrem Pech wurde sie
fündig. Jetzt war sie eine schlichte Esperin auf der Flucht und
versteckte sich in Finlay Feldglöcks altem Schlupfloch, einer
beengten Wohnung in den Quartieren unter der Arena. Hier
herrschte das Chaos, aber Diana brachte anscheinend weder die
Kraft noch die Entschlossenheit auf, um etwas dagegen zu unternehmen. Sie lag rücklings auf dem ungemachten Bett, trug
schmutzige, verschwitzte Klamotten, weil sie keine Sachen
zum Wechseln hatte, und starrte an die Decke, wobei sie alles
und nichts zugleich sah.
Ihre gedanklichen Abwehrschirme waren aufgerichtet und so
stark, wie sie sie nur hinbekam. Die mächtigsten Esper des
Imperiums hätten an der Tür vorbeigehen können, ohne zu bemerken, dass Diana hier war. Theoretisch. Früher einmal wäre
Diana sich dessen sicher gewesen, aber inzwischen gab es vieles, dessen sie sich gar nicht mehr gewiss war. Ihr half, dass
direkt über ihr der Kampfplatz der Arena lag, wo des Sterbens
kein Ende war. Der endlose Strom des Leidens und Gemetzels,
der tobenden Emotionen und der Blutgier des Publikums erzeugte ein konstantes geistiges Chaos; eigentlich dürfte niemand fähig sein, Diana durch dieses Chaos hindurch aufzuspüren.
Und nichts von alledem bedeutete einen Dreck, denn sie versteckte sich hier vor der Mater Mundi. Sie würde sie schließlich finden, und sei es auch nur, indem sie nach und nach alle
anderen Möglichkeiten ausschloss. Auf Golgatha fand man nur
eine begrenzte Zahl von Stellen, wo man hoffen konnte, sich
vor einem entschlossenen Telepathen zu verbergen. Mit Millionen Hirnen, die die Mater Mundi einsetzen konnte, würde
sie Diana mit der Zeit entdecken, und Diana musste dann entweder erneut flüchten oder standhalten und kämpfen. Beide
Alternativen schienen letztlich zu ihrem Tod zu führen.
Diana Vertue verschränkte die Hände auf dem Bauch und
fragte sich, was zum Teufel sie als Nächstes unternehmen sollte.
Wie hatte es nur so weit kommen können? Dass sie als
Flüchtling in einem schmutzigen Zimmer hauste und über ihren
bevorstehenden Tod nachdachte? In jüngeren Jahren hatte sie
so tolle Pläne gehabt! Solch inbrünstige Hoffnungen und großen Absichten! All die wunderbaren Dinge, die sie hatte vollbringen wollen … Natürlich hatte man ihr auf dem Geisterplaneten Unseeli viel von ihrem Feuer und ihrer Unschuld ausgetrieben. Sie war vom eigenen Vater als Köder benutzt worden,
um ein Monster zu fangen. Bedroht und bis an die Grenze des
Wahnsinns getrieben und erst im letzten Augenblick vom Gesang der Ashrai gerettet. Danach war sie nicht mehr dieselbe.
Sobald das alte Schiff ihres Vaters, die Sturmwind , über Golgatha andockte, desertierte sie aus der Raumflotte, ging in den
Untergrund und schloss sich den Espern an, die sich gegen die
Herrschaft des Imperiums auflehnten. Sie glaubte, sie hätte dort
Freunde und Bundesgenossen gefunden und eine Sache, an die
sie glauben konnte, aber am Ende wurde sie wieder nur benutzt. Die Esper versteckten Dianas Gedanken hinter einer
vorgespielten Persönlichkeit, die Johana Wahn hieß, und
duldeten dann, dass man sie gefangen nahm und ins
Espergefängnis Silo Neun schickte, auch bekannt als die Hölle
des Wurmwächters.
Und dann manifestierte sich die Mater Mundi in ihr und verlieh ihr die Macht, sich und die übrigen gefangenen Esper zu
befreien. Diana glaubte, endlich ihre Rolle gefunden zu haben.
Sie machte sich die Persönlichkeit Johana Wahns ganz zu eigen und gestattete den übrigen Espern, sie zur lebenden Heiligen Unserer Mutter Aller Seelen auszurufen. Auch das stellte
sich jedoch als Lüge heraus, als die Mater Mundi sie auf Nebelwelt wieder im Stich ließ, gerade als Diana sie am meisten
brauchte. Sie hätte es wissen müssen. Sie hätte damit rechnen
müssen. Der einzige konstante Faktor ihres jungen Lebens war
stets der Verrat gewesen.
Dann kam die große Rebellion, der Sturz Löwensteins, und
die Chance auf ein neues Leben für alle Esper. Also legte Diana die Persönlichkeit Johana Wahns ab
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