Todtstelzers Schicksal
er
sich jetzt heilen konnte. Da Ruby tot war, standen sie sich nicht
mehr als Feinde gegenüber. Tatsächlich war er sogar erstaunt,
dass die Heilung noch nicht eingesetzt hatte. Als er jedoch versuchte, die entsprechenden Kräfte zu wecken, fand er nichts.
Sie waren verschwunden, wie ein Gesicht oder ein Name, woran er sich nicht mehr erinnern konnte. Er stand wieder ganz auf
eigenen Füßen.
Er fluchte ohne großen Gefühlsaufwand. Er musste nach wie
vor Diana erreichen. Sie warnen. Alles andere konnte warten.
Er verließ den Keller und verschloß die Tür sorgfältig hinter
sich. Die Finger waren taub und reagierten schlecht. Die Füße
fühlten sich kalt und sehr fern an. Er blickte sich um, war jedoch allein auf dem Flur. Er wollte sich einen Begriff davon
machen, wie weit es bis zur großen Halle und zu Diana war,
und stellte erschrocken fest, wie verschwommen seine Gedanken inzwischen waren. Die Wunde musste schlimmer sein, als
er gedacht hatte.
Du stirbst ebenfalls, Jakob.
Er biss sich kräftig auf die Innenseite einer Wange. Blut füllte kurz den Mund, und er musste kräftig spucken, um ihn wieder freizubekommen, aber unter dem plötzlichen Schmerz klärten sich seine Gedanken. Er richtete sich auf, zog die Schultern
zurück, achtete darauf, dass der Mantel fest zugezogen war,
und machte sich mit völlig normaler Gangart auf den Weg
durch den Korridor. Das Gesicht wirkte ruhig, die Augen klar,
als wäre alles in Ordnung. Einfach alles.
Ein Korridor sah fast so aus wie der andere, aber Ohnesorg
wusste jetzt, wohin er ging, und seine Füße stockten nicht. Er
kam unterwegs an anderen Menschen vorbei, die mit zweifellos wichtigen Aufgaben hin und her eilten und zum Glück alle
zu beschäftigt waren, um stehen zu bleiben und ein Schwätzchen zu halten. Die Burg war in schlechtem Zustand, und das
schwächelnde Lebenserhaltungssystem benötigte viel Aufmerksamkeit. Die Leute lächelten und nickten Jakob Ohnesorg
zu, und er erwiderte das Lächeln und das Nicken. Er gab sich
Mühe, völlig normal zu erscheinen, und bei den wenigen Gelegenheiten, zu denen er nicht umhin kam, ein paar Worte mit
anderen zu wechseln, blieb seine Stimme vollkommen gleichmäßig. Keiner bemerkte, was es ihn kostete. Wie er gegen die
wachsenden Schmerzen ankämpfte, die an ihm fraßen, als würde Rubys Messer immer wieder neu in ihn gerammt, entschlossen, seine tödliche Absicht zu vollenden. In den Händen
hatte er inzwischen kein Gefühl mehr, aber Arm und Willenskraft hielten die tote Hand auf die versteckte Wunde gepresst.
Er konzentrierte sich darauf, einen Fuß nach dem anderen aufzusetzen, während die endlosen Flure aufeinander folgten wie
die grauen Straßen, denen wir in unseren Albträumen folgen.
Endlich betrat er die große Halle und schloss die schwere Tür
mit einer Mühe hinter sich, bei der ihm kalte Schweißperlen
auf die Stirn traten. Diana wandte sich von dem Bildschirm ab,
über den Datenströme liefen. »Oh, hallo, Jakob. Ich bin gerade
ziemlich beschäftigt …«
»Ich kann nicht warten«, erklärte er kategorisch. Seine
Stimme klang rau und schrill. »Wir haben Verräter an Bord.
Der Schwarze Block wünscht deinen Tod. Wir haben hier eine
Bombe. Sie könnte überall in der Burg versteckt sein. Wenn sie
auch nur vermuten, dass du Bescheid weisst, zünden sie sie.«
»Typisch für den verdammten Schwarzen Block .« Diana
stellte den Bildschirm auf Stopp. »In Ordnung; ich konzentriere mich jetzt.« Sie runzelte die Stirn, und Ohnesorg spürte, wie
ihr Verstand nach draußen tastete, wie sich ihre Gedanken
durch den Rest der Burg ausbreiteten und alles sahen. »Ah, ja.
Ich habe sie. Gut versteckt. Verdammt, ist das ein Brummer!
Groß genug, um die ganze Fluchtburg zu vernichten, selbst
wenn sie noch intakt wäre. Die gehen wirklich kein Risiko ein.
Ich schätze, ich sollte mich geschmeichelt fühlen.«
»Erkläre mir, wo sie steckt«, sagte Ohnesorg. »Ich entschärfe
sie.«
»Nicht nötig. Ich habe das schon gemacht. Sie ist jetzt harmlos. Man könnte sie nicht mal mehr hochjagen, indem man ihr
eine Granate in den Hintern steckte. Und ich habe sämtliche
Verräter an Bord entdeckt und geistig ausgeschaltet. Bezüglich
des Schwarzen Blocks muss ich wirklich etwas unternehmen,
wenn ich wieder zu Hause bin. Ein weiteres Problem auf der
Liste. In diesen Tagen folgt wirklich ein Mist auf den anderen,
was?«
»Ja«, stimmte ihr Ohnesorg zu. »Wirklich. Falls du mich
nicht mehr brauchst …«
»Oh, ich denke nicht.
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