Todtstelzers Schicksal
geheimnisvollen Menschen, die wussten, wer oder was in oder
aus der Mode war, ehe es sonst jemand bemerkte, und sie
konnte absolut gnadenlos sein, wenn sie es mit an Selbstüberschätzung leidenden Parvenüs und zu wenig arroganten Künstlern zu tun bekam. Aber trotz ihres potenziellen Giftes bildete
sie Herz und Seele jeder Festgesellschaft, und das lebhafteste
Geschnatter und lauteste Gelächter stammte immer aus der
Gruppe, zu der sie gehörte.
Skandale folgten ihr wie hartnäckige Schatten, aber irgendwie blieb nichts davon je wirklich haften. Sie hatte Affären mit
jedem, der wichtig war, und damit auch Einfluss in oberen wie
in unteren Kreisen. Geheiratet hatte sie nie, und Kinder waren
ebenfalls nicht vorhanden (zumindest keine, von denen man
gewusst hätte), und ihre familiäre Herkunft blieb ein Geheimnis, ungeachtet vieler entschlossener Nachforschungen seitens
der Klatsch- und Tratschsendungen im Holo. Man hatte schon
gehört, wie Chantelle prahlte, sie hätte sich selbst erschaffen,
und viele glaubten daran.
Sie war groß und modisch schlank und hatte lange honigfarbene Haare, und im herzförmigen Gesicht trug sie gerade genug Makeup, um den Eindruck zu erwecken, sie brauchte gar
keines. Ihr knöchellanges Kleid war schimmerndes Gold und
kühn genug geschnitten, um die Holokameras anzulocken, dabei jedoch nicht so unverfroren, dass es von der Braut abgelenkt hätte. Ihre Augen waren eisblau und konnten in einer Minute verschmitzt funkeln und in der nächsten jemanden tot zu
Boden strecken. Ihr Lächeln war breit, die Zähne vollkommen,
und ihr Lachen konnte von ganz allein eine Party in Schwung
bringen. Sie war schön, anmutig und witzig, und alle Welt bewunderte sie – falls alle Welt wusste, was gut für sie war.
Chantelle vergaß niemals einen Affront und genoss ihre Rache.
Sie war ein Star und fasste es als persönliche Kränkung auf,
wenn jemand heller zu leuchten versuchte als sie.
Wie passend also, dass die Königin des gesellschaftlichen
Lebens das Kommando über die Zeremonie führen sollte, mit
der die neue Königin des Imperiums geschaffen wurde. Und
der König natürlich.
Sie eilte geschäftig im Plenarsaal hin und her, bellte Anweisungen, löste Probleme, wandte Krisen ab und führte durch
schieren Charme und Charisma gegnerische Gruppierungen
zusammen. Wo Vernunft nicht funktionierte und Charme versagte, da behalf sie sich mit schlichter Einschüchterung. Es war
unklug, wenn jemand Chantelle gegen sich aufbrachte. Sie
wusste so allerlei. Oft sehr peinliche Einzelheiten. Niemand
konnte die höhere Gesellschaft so lange dominieren, wie es
Chantelle schon tat, ohne über absolut jedermann irgendetwas
zu wissen. (Ihre Tagebücher bewahrte sie in einem Tresor auf,
der von bewaffneten Wachleuten geschützt wurde.) Zur Zeit
hatte sie einen Plan für die königliche Hochzeit und für die
Krönung, und bei Gott und allen seinen Heiligen, alle Welt
würde sich daran halten! Sie schüchterte die Brautjungfern mit
finsteren Blicken so ein, dass sie mürrisch gehorchten, löste
mit eiskalter Logik Fragen der Vorrangstellung und dämpfte
den Lärm aus den Küchen, indem sie einfach den Kopf hineinsteckte. Chantelle in vollem Schwung war eine Naturgewalt,
und bloße Sterbliche vermochten sie weder umzulenken noch
sich ihr zu widersetzen.
Es sei denn, man hieß Adrienne Feldglöck. Eine Naturgewalt
aus eigenem Recht und doppelt so gewalttätig. Adrienne und
Chantelle hatten sich die oberen Kreise zu eigenen Bedingungen gefügig gemacht und sich durch schiere, unnachgiebige
Persönlichkeit einen Weg freigeräumt, aber während Chantelle
ihre Stellung auskostete, war Adrienne dafür berüchtigt, darauf
einen Dreck zu geben. Chantelle beherrschte die Zeitgenossen,
die ihre gesellschaftliche Stellung teilten. Adrienne gestand
niemandem zu, auf ihrer Stufe zu stehen. Die beiden Frauen
waren nie befreundet gewesen – obwohl sie eine Anzahl hochgestellter Liebhaber geteilt hatten, die alle vernünftig genug
waren, über bestimmte Dinge eisern den Mund zu halten –,
aber andererseits auch nie wirkliche Rivalinnen. Anstatt einen
Krieg zu riskieren, in dem sich keine siegessicher gefühlt hätte,
war es einfacher und sicherer für sie, sich im Vorübergehen
zuzulächeln und zuzeiten gegenseitig die Luft über den Wangen zu küssen, um dann wieder ihrer Wege zu gehen.
Und so lief es – zwei Sonnen am Firmament mit einer endlosen Zahl von Gefolgsleuten im
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