Todtstelzers Schicksal
»Aber nicht, ehe ich es benutzt habe.«
»Johan, das könnt Ihr nicht!«, mahnte ihn Carrion. »Es ist
nur ein unschuldiges Baby.«
»Es hat Milliarden Menschen umgebracht!«
»Es weiß nicht einmal etwas davon.«
»Nichts ist jemals einfach, nicht wahr?«, meinte Owen. »Ich
entsinne mich noch an das erste Mal, dass ich hier war. Ich bin
zum Kern des Labyrinths gegangen und fand dort das Baby
sicher schlummernd vor. Ich denke, ich wusste schon damals,
dass mein Leben niemals Sinn ergeben würde. Dass im Universum größere Mächte am Werk sind, als dass ich sie jemals begreifen könnte. Und an diesem Punkt setzten auch die Lügen
ein. Mein Vorfahr Giles, der ursprüngliche Todtsteltzer, erzählte mir, das Baby wäre sein Klon. Erst viel später fiel mir ein,
dass die Technik des Klonens damals noch gar nicht bekannt
gewesen war. Er erzählte mir auch, die Wolflinge hätten das Labyrinth des Wahnsinns konstruiert, obwohl er wenig später
seine Aussage korrigierte und sagte, es wäre ein fremdes Artefakt. Das war sein erster Ausrutscher, für mich zum ersten Mal
Grund, ihm zu misstrauen. Aber ich habe ohnehin nie an Legenden geglaubt. Besonders dann nicht mehr, als ich mich
selbst zu einer entwickelte. Und ich habe zu viel Geschichte
studiert, um noch an glückliche Ausgänge zu glauben. Trotzdem bin ich weiterhin überzeugt, dass jemand, der guten Willens ist, etwas bewirken kann, falls er zum richtigen Zeitpunkt
an der richtigen Stelle steht und nicht bereit ist, zurückzuweichen oder den Blick abzuwenden.«
»Giles hat das auch einmal geglaubt«, sagte der Wolfling.
»Leider beschloss er, dass es ihm nicht reichte, nur ein Held zu
sein, und er lieber Oberster Krieger werden wollte. Der Zeitpunkt ist gekommen, Euch die Wahrheit zu erzählen, die wahre
Geschichte von Giles Todtsteltzer, seinem kleinen Sohn und
dem Labyrinth des Wahnsinns .«
Hier folgt die Geschichte des Wolflings.
Vor mehr als neunhundert Jahren, als die Lage noch anders
war und Giles als Held in Ehren stand, den alle liebten und
respektierten, da verriet er seine Frau und seine Familie und
seinen Imperator und begann eine Affäre mit der Imperatorin
Hermione. Hermione wurde mit ihrem ersten und einzigen
Kind schwanger. Ulric freute sich darüber, und im ganzen Imperium wurde die Geburt eines Sohnes und imperialen Erbens
gefeiert. Nur Giles und Hermione wussten, dass die Ergebnisse
des offiziellen Gentests gefälscht waren, dass das neugeborene
Baby unehelich und eines Verräters Brut war. Selbst heute bin
ich mir noch nicht sicher, ob Giles Hermione wirklich geliebt
hat. Ob er sie jemals geliebt hat. Oder ob er mit Absicht ein
Kind zeugte, das dem Clan Todtsteltzer einen Anspruch auf
den Eisernen Thron einbringen sollte. Ich verabscheue den Gedanken, dass seine Affäre mit Hermione nur Mittel zum Zweck
war, aber Giles war immer ehrgeizig. Vielleicht bestand der
Plan darin, zu warten, bis Ulric II. starb, auf welche Weise
auch immer, damit Giles vortreten und die Ergebnisse des echten Gentests vorlegen konnte, um die Todtsteltzers zu Herrschern des Imperiums zu machen. Giles hat es mir nie gesagt,
und ich habe ihn nie gefragt.
Worin seine Ziele auch immer bestanden, es ging alles fürchterlich schief. Der Verräter wurde selbst verraten, vom eigenen
richtigen Sohn, dem Mann, den Ihr später als Dram kennen
gelernt habt. Kurz nach der königlichen Geburt erzählte er Ulric die Wahrheit, womöglich um sich einzuschmeicheln, denn
Dram war ebenfalls ehrgeizig. Und vielleicht war auch Eifersucht der Grund; die Furcht, vom unehelichen Halbbruder verdrängt zu werden. Vater und Sohn sind nie miteinander ausgekommen. Giles trieb sich immer irgendwo im ständig expandierenden Imperium herum, gab den Helden und baute an der
eigenen Legende, während sein Sohn zurückblieb und in der
Gesellschaft von Lehrern und Politikern aufwuchs sowie einer
stillen, schüchternen Mutter, die keine Ahnung hatte, wie sie
mit ihrem immer rücksichtsloseren Kind fertig werden sollte.
Der Imperator wurde beinahe verrückt vor Wut, als Dram
ihm die Wahrheit über seinen geliebten Säugling erzählte. Ulric war viele Jahre lang kinderlos geblieben, und so war die
Kränkung, die Giles ihm zugefügt hatte, in mehrerlei Hinsicht
unerträglich. Er ließ Imperatorin Hermione verhaften, damit sie
ihren Prozess und ihre Hinrichtung im Kerker erwartete, und
verhängte gleich das Todesurteil über Giles Todtsteltzer. Es
heißt, Ulric hätte
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