Todtstelzers Schicksal
angespannt, und jeder spürte das Herz des anderen schlagen. Sie hielten einander fest, als könnten sie jeden Augenblick
auseinander gezerrt werden, und wollten diesen Moment endlos fest halten. Letztlich war es Owen, der sich als Erster löste
und Hazel langsam von sich weg schob. Er war immer derjenige gewesen, der sich auf Pflicht und Ehre verstand, dessen
Herz einen unzerbrechlichen Kern aus Eisen hatte. Derjenige,
der tat, was getan werden musste, was es auch kostete. Ein
Todtsteltzer.
Sie blickten sich gegenseitig in die Augen, und keiner weinte, um den anderen nicht zu beunruhigen.
»Ich liebe Euch«, sagte Owen. »Und ich werde es immer tun.
Ich werde Euch nie vergessen, solange ich lebe.«
»Ich werde dich auch nie vergessen«, sagte Hazel. »Nicht
einmal, falls ich ewig leben sollte.«
Owen wartete noch einen Moment lang, aber Hazel sagte
nichts mehr. Owen verstand sie. Er zeigte ihr ein letztes Lächeln, küsste sie sanft auf die Lippen und ging rasch weg. Er
blickte hinüber zum Labyrinth des Wahnsinns.
»Ich bin bereit.«
Er hörte das Rauschen gestörter Luft hinter sich, als Hazel
hinauf zur Sonnenschreiter teleportiert wurde und die Luft in
das Vakuum stürzte, das sie zurückließ. Er rechnete nicht damit, sie wiederzusehen. Aber natürlich tat er es.
Hazel materialisierte auf der Brücke der Sonnenschreiter und
blickte sich rasch um. Ihr Herz setzte für einen Schlag aus, als
sie erkannte, dass es hier jetzt genauso aussah wie in ihrem
Traum; die alte vertraute Anlage von der Sonnenschreiter II. Rasch trat sie vor, um die vergrößerten Steuerungspaneele zu
konsultieren, und stellte fest, dass das umgewandelte Schiff mit
mehr Geschützen und mehr Feuerleitsystemen ausgestattet war
als ein durchschnittlicher Sternenkreuzer der E-Klasse. Und
über ein gewaltiges System an Abwehrschirmen. Vermutlich
fand das Labyrinth , dass Hazel sie brauchen würde.
Sie schaltete den Hauptbildschirm ein. Sie waren immer noch
da. Die Neugeschaffenen drängten sich um die Wolflingswelt wie Ratten um einen Sterbenden. Beinahe spürte sie die Wellen
von Hass und Wut, die von ihnen ausgingen. Hazel knurrte den
Bildschirm an. Sie stand zwischen ihnen und dem Todtsteltzer,
um diesem wie immer den Rücken freizuhalten, und nur darauf
kam es an. Sie hatte sich früher schon erdrückend schlechten
Chancen gestellt und irgendwie überlebt. Vielleicht war das
alles ein Training dafür gewesen, dass sie hier und jetzt nicht
eingeschüchtert zu sein brauchte.
Um am Eingang des Passes Stellung zu beziehen und dem
Feind den Zugang zu verwehren; um Torwächterin für die ganze Menschheit zu sein.
Sie wünschte sich nur, sie brauchte es nicht allein zu tun.
Und da bemerkte sie einen Lichtblitz am Rand des Bildschirms und wusste gleich, was er bedeutete. Die Unerschrocken. Schwejksams legendäres Schiff, das nie eine
Schlacht verloren hatte. Sie war also doch nicht allein. Hazel
lachte laut und widmete sich der Feuerleitstelle. Die gesamte
Geschützsteuerung lief über ein einziges Paneel, das sie allein
bedienen konnte. Sie spürte, wie draußen in der endlosen Nacht
der Dunkelwüste immer mehr Neugeschaffene ihrer, Hazels,
bewusst wurden und langsam erkannten, dass sie zwischen
ihnen und ihrer Beute stand. Riesige Augen wandten sich in
ihre Richtung. Kilometerlange Tentakel griffen durchs All.
Riesige Schiffe drehten sich zur Sonnenschreiter um. Hazel
jauchzte einmal vor wilder Freude, verknüpfte ihre Gedanken
mit dem Geschützpaneel und eröffnete aus allen Rohren das
Feuer.
Owen betrat das Labyrinth des Wahnsinns und empfand es wie
eine Heimkehr. Rasch folgte er dem Weg zwischen den glänzenden, schimmernden Wänden, nicht weniger vom Instinkt
geführt als von den Erinnerungen. Normalerweise erinnerte er
sich nicht gut an seine erste Durchquerung des Labyrinths , und
jetzt erkannte er, woran das lag. Es war einfach eine zu starke,
überwältigende Erfahrung, als dass der Verstand sie lange hätte
ertragen können. Man musste sie einfach vergessen, damit der
Verstand wieder die alltäglichen Dinge bewältigen konnte.
Owen wurde langsamer, verzichtete auf die erste Eile, denn die
Zeit lief im Labyrinth anders ab. Eine Sekunde und ein Jahr
waren hier das Gleiche. Einmal warf er einen Blick zurück, und
es überraschte ihn keineswegs, dass Schwejksam und Carrion
nicht mehr bei ihm waren, obwohl sie das Labyrinth alle gemeinsam betreten hatten. Sie alle mussten eigenen Wegen
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