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Todtstelzers Schicksal

Todtstelzers Schicksal

Titel: Todtstelzers Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon R. Green
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folgen, eigenen Zielen nachstreben, eigene Bestimmungen erfüllen.
    Owen ließ sich durch die glänzenden Gänge treiben, gerufen
von einer Stimme, die ihm beinahe vertraut erschien. Es war
bitterkalt im Labyrinth , aber er war in vielen Feuern gehärtet,
zu sehr, als das bloße Temperaturen ihm noch Probleme hätten
bereiten können. Elektrische Störungen knisterten hier und da
in der Luft, fielen herab wie ionisierte Schneeflocken, krochen
an den glänzenden Wänden auf und ab. Owen glaubte langsame und gleichmäßige und gigantische Atemzüge zu hören, die
wie Böen um ihn fegten. Unter den Füßen spürte er ein langsames, rhythmisches Zittern, und es fühlte sich an wie das
Schlagen eines gewaltigen Herzens in großer Tiefe. Er hatte
das Gefühl, im Auge behalten, zur Kenntnis genommen, umsorgt zu werden. Nicht zum ersten Mal fragte er sich, ob das Labyrinth des Wahnsinns nicht lebendig war, eine Existenzform weit jenseits von allem, was er zu erkennen oder zu verstehen hoffen konnte.
    Wechselnde Geräusche und Gerüche traten in seiner Umgebung auf und wichen wieder. Herber Essig und brennende Blätter. Geöltes Metall und reife Zitronen, die scharf in die Zunge
bissen. Reiche Erde und Mulch und das Aroma grüner, wachsender Dinge – eine Erinnerung an das verlorene Virimonde. Das Geschnatter metallischer Vögel. Ein Baby weinte, und eine
rissige Eisenglocke schlug zur Mitternacht in einer Kirche. Es
war ein Gefühl wie Weihnachten – die Welt ruhig und friedlich
unter dem Segen einer Schneedecke. Owen suchte sich seinen
Weg durch das Labyrinth , hielt ständig Kurs auf das Zentrum
und damit alle Antworten auf alle Fragen seines Lebens.
    Schwejksam und Carrion gingen gemeinsam des Weges, verbunden durch Erinnerungen, die nur sie teilen und verstehen
konnten. Früher einmal hatten sie sich gegenseitig zu töten
versucht, wegen Dingen, an die sie glaubten und auf die sie
einfach nicht verzichten konnten, aber das war jetzt vorbei. Sie
sahen sich mit einem gemeinsamen Feind konfrontiert, und
außerdem waren sie Freunde, waren es immer gewesen, selbst
zu Zeiten, in denen sie sich hassten. Das Leben ist manchmal
so.
    Schwejksam war damals, beim ersten Mal, nicht tief ins Labyrinth vorgedrungen, und er erinnerte sich vor allem daran,
wie seine Leute rings um ihn auf entsetzliche Weise umkamen.
Jetzt hatte er einen Blick für das Wunder und die Schönheit
dieses Ortes, die friedliche, fremdartige Pracht von all dem. Er
fühlte sich entspannt und willkommen geheißen; diesmal war
es gewünscht, dass er hier war.
    Carrion war zum ersten Mal im Labyrinth , aber das Merkwürdigste von allem war das Gefühl, schon einmal hier gewesen zu sein. Etwas hier erinnerte ihn stark an seine Zeit auf Unseeli , als er mit den sanften Geistern des Waldes gesprochen
hatte, den Metallbäumen und den Ashrai. Fast hatte er das Gefühl, er wäre dorthin zurückgekehrt, in die Zeit, als der Planet
noch lebendig gewesen war und er ebenfalls.
    Schwejksam und Carrion blieben plötzlich stehen. Sie befanden sich in einem Korridor, der sich nicht von den übrigen
Korridoren unterschied, und blickten sich langsam um, als erwachten sie aus einem Traum. Eine Stimme, die keine Stimme
war, sondern so viel mehr, war in ihren Gedanken erklungen,
und sie wussten, dass sie nicht tiefer ins Labyrinth hineingehen
würden. Das Herz und die verborgenen Mysterien des Labyrinths waren diesmal nicht für sie bestimmt.
    Sie hatten eine andere Bestimmung.
»Ich fühle mich beinahe gekränkt«, stellte Carrion fest.
»Owen kriegt alle Antworten, und wir nicht? An wen muss ich
mich wenden, um eine Beschwerde vorzubringen?«
»Ich denke nicht, dass ich die hiesige Beschwerdestelle kennen lernen möchte«, sagte Schwejksam. »Und ich denke nicht,
dass ich jemals wirklich alle Antworten erfahren wollte. Ich
meine, was soll man danach denn noch tun?«
»Ihr habt schon immer nur in kleinen Begriffen gedacht, Johan. Also, warum sind wir hergekommen? Wir wurden gerufen. Wir haben es beide gespürt. Es hat seine Richtigkeit, dass
wir hier sind.«
»Still!«, unterbrach ihn Schwejksam. »Hört Ihr auch etwas?
Etwas wie … Flügel?«
Langsam hoben sie die Blicke, bewegt von so etwas wie einem Gefühl des Staunens und der Ehrfurcht, und hoch über
sich erblickten sie die Ashrai. Keine Gespenster diesmal, sondern wieder lebendig und vital und sehr stofflich. Neu geboren,
von der Kraft des Labyrinths in die Welt der Lebenden

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