Todtstelzers Schicksal
den
Schlauchenden und bildeten Pfützen auf dem Boden. Der Wehschrei brach plötzlich ab, und Blut und noch etwas anderes
spritzte aus dem Mund des Mannes. Das Leben erlosch in seinen Augen, und der Kopf fiel nach vorn. Arme und Beine
zuckten noch, aber er war offensichtlich tot. Scour warf die
Schläuche achtlos zu Boden.
»Sollte mich das vielleicht beeindrucken?«, fragte Hazel,
insgeheim erfreut, dass ihre Stimme nach wie vor ruhig und
gleichmäßig klang.
»Nein«, antwortete Scour und kehrte ohne Hast zu ihr zurück. »Es sollte Euch Angst einjagen. Furcht ist hier Euer
Freund. Sie wird Euch dabei helfen, den unvermeidlichen
Übergang von der lebenden Legende zum Versuchsexemplar
zu vollziehen. Trotz bedeutet nur Schmerz. Hartnäckigkeit
bringt nur unnützes Leid mit sich. Ihr werdet schließlich gebrochen werden. Jeder wird es. Besser, es rasch hinter sich zu
bringen, so lange Ihr noch weitgehend über Euren gesunden
Verstand verfügt. Ah, Hazel, was wir alles von Euch lernen
werden, nachdem wir uns mit Eurem Fleisch und Blut und Euren Knochen vertraut gemacht haben, mit jedem Winkel von
Körper und Geist!«
»Ich sage dir was«, versetzte Hazel und dachte sich dabei: Alles, nur um Zeit zu gewinnen – Zeit, damit meine Kräfte zurückkehren. »Machen wir daraus einen Gedankenaustausch. Du
erzählst mir alles über euch, die Blutläufer, und ich erzähle dir
alles über mich. Die Dinge, die ich tun kann, von denen ihr
nichts wisst. Ein Geschäft, und niemand braucht verletzt zu
werden.«
Scour blickte lange auf sie herab. »Es ist sehr lange her, seit
ich zuletzt mit jemandem über unsere Ursprünge reden konnte,
der fähig war, die Informationen zu verstehen und zu würdigen. Schließlich, liebe Hazel, seid Ihr nicht mehr ein Mensch
als wir. Merkt auf und lernt, während ich Euch die wahre und
schreckliche Geschichte der Blutläufer erzähle.«
Ein kopfloser Menschenkörper kam in den Raum marschiert
und trug einen schlichten Holzstuhl vor sich her. Die Haut, die
sich zwischen den Schultern spannte, war völlig glatt, als hätte
der kräftig gebaute Körper nie einen Hals oder Kopf gehabt
und nie Bedarf daran verspürt. Die Kreatur blieb neben der
Liege stehen und stellte den Stuhl sachte ab. Scour setzte sich
darauf und arrangierte seine Gewänder so, dass er es bequem
hatte. Der Kopflose drehte sich um und entfernte sich. Er
schien keinen Kopf zu brauchen, um zu sehen, wohin er ging.
»Nur ein Diener«, erklärte Scour lässig. »Unser Wille treibt
diese Kreaturen an, sonst nichts. Betrachtet sie als Maschinen
aus Fleisch. Unsere Tech hat eine andere Richtung genommen;
unsere Wunderwerke leiten sich aus den endlosen Fähigkeiten
des menschlichen Körpers und Geistes her, nicht aus den kalten
Metallen und Kristallen Eurer beschränkten Tech. Nun, wo
beginne ich? Womöglich mit dem Sommerstein? Nein, ich
muss früher ansetzen. Ihr müsst zunächst verstehen lernen, wie
alt wir sind. Wie unaussprechlich alt.
Vor dem Imperium existierten wir. Als die Menschheit sich
über viele Planeten ausbreitete, waren wir schon alt. Damals
schon eigenständig, obwohl nur gewöhnliche Menschen, die
jedoch eigenen geheimen Wegen folgten. Als die Menschheit
zu den Sternen aufbrach, fanden wir einen Planeten für uns.
Jahrhunderte vergingen, in denen wir uns nach eigenen Vorstellungen umformten. Nicht wie die Hadenmänner mit ihrer
einschränkenden Abhängigkeit von Tech, sondern durch Gentechnik und Körpergestaltung. Wohin die Menschheit sich
nicht vorwagte, dorthin gingen wir mit Freuden und ohne jede
Zurückhaltung. Wir erträumten das Unmögliche und verwirklichten es in Fleisch und Blut und Knochen.
Wir entwickelten uns zu langlebigen, ungeheuer verbesserten
Hermaphroditen. Mann und Frau in einem Körper. All die
Freuden, Begabungen und Ressourcen beider Geschlechter in
einem machtvollen Leib. Wir verloren die Fähigkeit, Kinder zu
zeugen, aber wir wollten auf ewig in unserem eigenen Fleisch
fortleben, nicht dem unserer Nachkommen. Ich habe damals
schon gelebt – wie alle, die damals schon zugegen waren, heute
noch leben. Nicht im heutigen Körper, zugegeben; unsere jeweilige Identität lebt im Gedankenpool weiter und geht über
die langen Jahrhunderte hinweg von einem Körper in den
nächsten über. Wenn sich ein Körper abgenutzt hat, überlasse
ich ihn dem Tod, transferiere mein Bewusstsein in den Gedankenpool und lade mich selbst in einen neuen Körper hinunter,
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