Todtstelzers Schicksal
Versicherung, sie würden ihm keinen Vorwurf daraus machen. Er war schließlich nach wie vor sehr populär. In der ganzen Stadt kam anlässlich seiner Bestattung der
Betrieb zum Erliegen.«
»Ich weiß«, sagte Finlay. »Ich war dabei, stand in der Menge
auf dem Bürgersteig, als die Begräbnisprozession vorbeizog.
Männer und Frauen weinten offen. Er war der Held des Volkes.
Keine Legende wie Owen oder Jakob Ohnesorg oder eine
schattenhafte Gestalt wie du und ich.«
»Du hättest nicht hingehen sollen. Es war gefährlich für dich,
in der Öffentlichkeit zu erscheinen. Julian hätte Verständnis
dafür gehabt.«
»Ich war verkleidet. Und ich konnte ihn nicht ziehen lassen,
ohne Lebewohl zu sagen. Ich hatte vor ihm nie wirklich einen
Freund. Er hat mich verehrt, obwohl ich ihn immer wieder aufforderte, es nicht zu tun. Er konnte nie begreifen, warum ich
ihn so bewunderte. Er war ein echter, wirklicher Held, der für
das Gute kämpfte, weil er einfach daran glaubte. Ich wurde nur
hineingezogen. Habe mich der Untergrundbewegung lediglich
angeschlossen, um in deiner Nähe zu sein. Immerhin hat er
einen guten Abschied erhalten; ich war erstaunt, als ich feststellte, dass seine Holoserie weiterläuft, wobei jetzt ein Schauspieler seine Rolle übernommen hat. Die Quote liegt höher
denn je. Er hatte einmal versucht, mich als Gaststar mit hereinzunehmen, aber anscheinend hielten mich die Sender für ungeeignet.« Finlay grinste. »Wie recht sie hatten! Also, was tust du
denn so heutzutage, Evie? Nach dem, was ich gehört habe,
scheinst du die Klon-Bewegung praktisch zu leiten.«
»Jemand muss es ja tun«, sagte Evangeline. Sie schob sich
von ihm weg und schniefte ein paar Mal, und ihre Tränen versiegten. »Den bisherigen Führungspersonen sind die neue
Macht und das Geld zu Kopf gestiegen. Sie haben ihren Einfluss und ihre Stimme für geheime Absprachen und großzügige
Bestechungsgelder verschwendet und nichts erreicht. Die Klone hätten eine bedeutende Rolle in der neuen Regierung übernehmen sollen. Und wenn ich mit meiner Arbeit fertig bin,
werden sie es auch getan haben. Ursprünglich habe ich mich
nur engagiert, um mich zu beschäftigen, aber du glaubst ja
nicht, in welchem Ausmaß ich Korruption vorgefunden habe.
An das Gesetz konnte ich mich nicht wenden; würde die Nachricht hinaussickern, wäre damit die ganze Klon-Bewegung diskreditiert. Also habe ich die Ratten langsam intern erledigt und
die Leichen so entsorgt, dass niemand sie je finden wird. Du
bist zu einem sehr hilfreichen Zeitpunkt von den Toten zurückgekehrt, Finlay; ich könnte einen starken rechten Arm gebrauchen.«
»Seit wann bist du so praktisch eingestellt?«, fragte Finlay
verwundert.
»Ich hatte keine Wahl. Ich war allein. Und ich schätze, ich
musste ja irgendwann erwachsen werden. Den Vater, den ich
hasste, und den Mann, den ich liebte, am selben Tag zu verlieren, das überzeugte mich davon, dass ich nicht länger ein Kind
bleiben konnte.«
»Ich kann mich nicht mit dir zusammen in der Öffentlichkeit
zeigen«, sagte Finlay. »Erst müssen wir einen vertrauenswürdigen Körperladen finden, der mein Gesicht und meine Körpersprache verändert.«
»Du könntest eine Maske tragen«, schlug Evangeline lächelnd vor. »Daran bist du schließlich gewöhnt. Wir nennen
dich den Unbekannten Klon, ein lebendiges Symbol all der
Klone, die gestorben sind, um die Gleichberechtigung der Klone zu erkämpfen. Die Bewegung könnte ein solches Symbol
gut gebrauchen.«
»Erhalte ich Gelegenheit, Leute umzubringen?«, fragte Finlay.
»Oh, jede Menge!«, sagte Evangeline, und beide lachten.
Daniel Wolf setzte sich kerzengerade im Bett auf und bemühte
sich diesmal, den Aufschrei zu unterdrücken. Der Albtraum
verblasste bereits wieder in der Erinnerung, obwohl er ihn festzuhalten versuchte, und er entsann sich nicht mehr genau, was
ihn so beunruhigt hatte. Sein Körper tat es jedoch. Er war
schweißnass, das Herz hämmerte und er schnappte nach Luft,
als wäre er um sein Leben gerannt. Vielleicht hatte er das ja. Er
warf die verschwitzte Bettdecke ab und rief nach Licht. Die
Beleuchtung sprang beruhigend schnell an, und das Schlafzimmer wurde sichtbar. Sein altes Schlafzimmer im Turm der
Wolfs, wo er aufgewachsen war. Stephanie hatte es speziell für
ihn wieder aufschließen lassen, als deutlich geworden war, wie
dringend er einen Ort brauchte, wo er sich sicher und geborgen
fühlte.
Etwas war ihm widerfahren auf der
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