Todtstelzers Schicksal
Suche nach dem toten
Vater, etwas Furchtbares. So schlimm, dass er sich überhaupt
nicht mehr daran erinnerte. Außer in seinen Träumen.
Er schwang die Beine aus dem Bett und tapste zum Nachttisch hinüber, um sich in der Schüssel das Gesicht zu waschen.
Das kühle Wasser wirkte beruhigend, aber Daniel blieb besorgt. Er war überzeugt, dass da etwas war, woran er sich lieber
erinnern sollte. Etwas Wichtiges. Egal, wie sehr es ihn womöglich entsetzte.
Die Tür glitt auf, und das Herz machte einen schmerzhaften
Satz in seiner Brust. Er warf sich herum und hob die Arme, um
sich vor … etwas zu schützen. Es war jedoch nur seine große
Schwester Stephanie, die sich davon überzeugen wollte, ob er
in Ordnung war. Sie wusste stets, wenn etwas mit ihm nicht
stimmte. Sie kam direkt aus dem eigenen Bett, das Haar noch
in Unordnung, einen Umhang über dem dünnen Nachthemd,
um die Wachleute nicht zu schockieren. Daniel nickte ihr ruckhaft zu, kehrte zum Bett zurück und setzte sich auf die Kante.
Stephanie nahm neben ihm Platz und legte ihm tröstend den
Arm um die noch bebenden Schultern.
»War es wieder der Traum?«, fragte sie leise. »Hast du auch
die Tabletten genommen, die dir der Arzt verschrieben hat?«
»Sie helfen nicht. Ich habe keine Probleme mit dem Einschlafen. Nur mit den Träumen. Niemand kann einen am
Träumen hindern.«
»Hast du irgendeine Vorstellung, was an dem Traum so
schlimm ist? So erschreckend? Oder warum du immer wieder
den gleichen Traum hast?«
»Nein. Ich habe ihn jedes Mal schon vergessen, wenn ich
richtig wach geworden bin.« Daniel starrte auf seine Hände,
die er im Schoß knetete. Er trug einen Pyjama mit Bildern von
Meister Petz darauf, wie in seinen Kindertagen. Sie trösteten
ihn und gaben ihm ein wenig das Gefühl, dass sich jemand um
ihn kümmerte. »Ich spüre nur … dass etwas Schlimmes
kommt. Ich weiß es. Ich weiß jedoch nicht, was oder warum
oder wie … Ich wünschte, du würdest einen Esper rufen. Damit
er es mir aus dem Kopf holt.«
»Das haben wir doch schon besprochen, Danny«, entgegnete
Stephanie entschieden. »Falls wir einen Esper riefen, würde
etwas durchsickern. Und dann würden die Leute reden. Wir
können aber nicht zulassen, dass die anderen Familien oder
sonst jemand uns als schwach wahrnehmen. Nicht … in Anbetracht der Lage. Es ist nur ein Traum, Danny. Du wirst darüber
hinwegkommen.«
»Wenn ich mich doch nur erinnern könnte …« Daniel blickte
hilflos auf die zu nutzlosen Fäusten geballten Hände.
Stephanie gab beruhigende Laute von sich und wiegte ihn ein
wenig hin und her. Daniel konnte nicht umhin, sich allmählich
zu entspannen. Er erinnerte sich, wie seine Mutter ihn auch auf
diese Weise beruhigt hatte, als er noch ganz klein war. »Mach
dir keine Sorgen wegen eines dummen alten Traums«, beschwichtigte ihn Stephanie. »Dir stehen auch ein paar schlechte
Träume zu, nachdem du so lange im Wrack deines Schiffs
festgesessen hast. Sei einfach dankbar, dass dein Transponder
letztlich beschloss, wieder zu funktionieren, sodass wir dich
aufspüren und deine Reise nach Hause finanzieren konnten. Sei
froh, dass du noch lebst, Danny! Ein so schlimmer Absturz
hätte die meisten Leute das Leben gekostet.«
»Wieso erinnere ich mich dann an nichts davon? Warum
weiß ich überhaupt nicht mehr, was den Absturz herbeiführte
oder was ich in der Nähe dieses verlassenen Mondes tat?« Daniels Züge verkrampften sich vor Frustration wie bei einem
kleinen Kind. »Ich war monatelang fort. Wo war ich die ganze
Zeit?«
»Die Erinnerung wird zurückkehren«, sagte Stephanie. »Gib
ihr Zeit.«
»Ich weiß nicht, ob ich das überhaupt möchte. Ich habe
Angst, Steph.«
»Sieh mal, gib dir einen Ruck und halte es noch eine Zeit
lang aus. Sollte es dir in ein paar Wochen nicht besser gehen,
schmuggle ich einen Esper herein. Man findet immer noch ein
paar Leute, die dem Clan Wolf Gefallen schulden. Bis dahin
solltest du deinen Glückssternen danken, dass du abgestürzt
bist. Du warst schon ein gutes Stück auf dem Weg in den Verbotenen Sektor, und von dort kehrt niemand zurück.«
»So erzählen es mir ständig alle.« Daniel seufzte schwer.
»Ich wünschte, ich hätte Vater finden können. Oder auch nur
seine Leiche, um sie heim zur Familiengruft zu bringen. Ich
vermisse ihn so sehr, Steph.«
»Ich nicht. Er war ein Tyrann. Hat sich nie darum geschert,
was wir uns wünschten, und war immer zu schnell bereit, dich
Weitere Kostenlose Bücher