Töchter auf Zeit
wir – und allen voran ich – in Endzeitstimmung gerieten und befürchteten, dass schon morgen alles aus und vorbei wäre. Abererstaunlicherweise denke ich nicht mehr in dieser Kategorie. Nachdem mir zweimal mit voller Wucht eins über die Rübe gezogen wurde, habe ich begriffen, wie kostbar das Leben ist.«
»Ich verstehe, was du meinst.«
»Na ja, mir kommt es so vor«, sagte ich, »als ob ich letztlich begriffen habe, worum es geht. Krankheiten und Unfälle beenden andauernd Leben, aber das bedeutet nicht, dass wir nicht leben und unser Leben genießen sollten. Denk mal an Mom und Claire – ihr Muttersein hielt leider nicht bis ins hohe Alter hinein, aber ich weiß, dass sie um nichts in der Welt darauf verzichtet hätten.«
Ich nahm seine Hände in meine und sah Tim in die Augen. »Ich habe mir einen Plan überlegt, bestehend aus zwei Teilen.« Mein Herz fing an zu rasen und setzte dann ganz aus.
»Ein Plan mit zwei Teilen?« Tim zog die Augenbrauen hoch. »Und wie sieht Teil eins aus?«
»Puh, also Teil eins …« Ich sah Tim in die Augen und verbarg dann mein Gesicht in meinen Händen, als wäre ich ein kleines Kind. Das war das erste Mal, dass ich so aufgeregt war und so unter Strom stand, seit ich Sams Foto damals in meinen Händen gehalten hatte. Ich ließ meine Hände sinken und sagte dann zu Tim: »Ich hätte gerne noch ein Baby, mit Claires Eiern.«
»Echt?«, strahlte mich Tim an.
»Ja«, sagte ich. »Ich will eine größere Familie. Ich möchte, dass Sam eine Schwester bekommt. Ich will nicht, dass sie ohne Geschwister aufwachsen muss. Ich finde es wunderbar, wie eng Sam und Maura sich gekommen sind, und ich hoffe sehr, dass Maura für immer dort drüben wohnt, aber das können wir nicht mit Sicherheit sagen. Vielleicht heiratet Ross ja wieder. Oder er zieht weg. Vielleicht bekommen er und seine neue Frau Kinder. Sam braucht Geschwister, sie braucht eine Schwester.«
Ich setzte mich auf das Bett, ließ mich nach hinten in mein Kissen fallen, schloss die Augen und stellte mir das Bild derdreijährigen Sam vor, die zu Weihnachten ein Neugeborenes in den Armen hielt, das Claires Augen hatte.
»Du weißt schon, dass dabei Mädchen
und
Jungs herauskommen können, oder?«
»Das wird ganz bestimmt ein Mädchen.«
»Was glaubst du, wird Ross dazu sagen?«
»Ich … wir müssen mit ihm darüber reden. Er muss uns seinen Segen geben.«
»Und darf ich fragen, was Teil zwei deines Plans ist?«
»Na ja, Teil zwei heißt, dass ich nach der Geburt dieses Babys …«, ich sah ihm direkt in die Augen und dann spürte ich, wie mir eine Träne die Wange hinunterlief, »… eine Hysterektomie machen lassen will, um mein Risiko, an Krebs zu erkranken, zu reduzieren.«
Tim setzte sich neben mich und zog mich in seine Arme. Er küsste mich auf den Kopf und seufzte tief. »Das ist der beste Plan, den ich je zu Ohren bekam. Denn, Helen, ich könnte es nicht aushalten, dich zu verlieren.«
»Ich lasse dich nicht allein«, sagte ich und küsste seine stoppelige Wange.
»Besser nicht!«, meinte er und küsste mich auch auf die Wange. »Du kannst mich schließlich nicht mit dem ganzen Haus voller Mädchen sitzen lassen.«
KAPITEL 24
Einen Monat später saßen Tim und ich wieder einmal in Dr. Patels Büro in der Fertilitätsklinik.
»Vor der Hysterektomie Ihrer Schwester konnten wir fünfzehn Eier gewinnen und einfrieren. Das sollte sogar für zwei In-vitro-Befruchtungen reichen«, erklärte uns der Arzt.
Tim drückte meine Hand, ich nickte.
»Die Erfolgschancen sind bei eingefrorenen Eier nicht ganz so hoch wie bei eingefrorenen Embryos«, fuhr Dr. Patel fort. »Aber es funktioniert.«
»Es ist auf jeden Fall einen Versuch wert«, sagte ich.
Claires Eier waren vor dem Einfrieren getestet und entsprechend vorbereitet worden. Nun musste auch Tims Sperma diesem Prozedere unterzogen werden. Sobald die Befruchtung dann erfolgt war, hieß es drei Tage warten, bis die Zellteilung in vollem Gange war. Dann würden mir vier Embryos mithilfe einer sehr dünnen Spritze in die Gebärmutter eingesetzt werden. Und wieder würde ein darwinscher Kampf beginnen und nur der Stärkste – vielleicht auch die Stärksten – würde überleben. Nach zehn Tagen stünde dann fest, ob sich überhaupt ein Embryo eingenistet hatte.
»Die Erfolgsquote bei Frauen Ihres Alters, Helen, liegt bei fünfundzwanzig Prozent. Da sollten wir realistisch sein.«
»Schon klar, dass es keine Garantie dafür gibt«, sagte ich,
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