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Töchter auf Zeit

Töchter auf Zeit

Titel: Töchter auf Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Handford
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Als ich mich allmählich wieder Larrys Haus näherte, konnte ich mit einem Mal meine ganze Kraft und Stärke spüren. Wie ferngesteuert holte ich tief Luft und überquerte die Straße. Mein Herz klopfte wie wild. Ich warf einen Blick über die Schulter zu meinem Auto. Als ich ein Teenager war, hatten meine Clique – ein paar hartgesottene Halbstarke – und ich beschlossen, das Haus unseres Mathelehrers mit Klopapier zu verkleiden. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie aufgeregt wir waren, als wir sein Grundstück betraten. Jetzt hatte ich dasselbe Gefühl.
    Ich redete mir gut zu, einen Schritt nach dem anderen zu machen. Als ich dann vor seinem Carport stand, streckte ich die Hand aus und berührte die Stoßstange seines Autos.
    In dem Auto hab ich schon mal gesessen
, dachte ich. Als kleines Mädchen saß ich auf dem Rücksitz und glaubte fest an die heile Welt.
    Jeden Oktober fuhren wir in den Shenandoah-Nationalpark, Virginia, weil wir sehen wollten, wie der Herbst das Laub der Bäume in den tollsten Farben angemalt hatte. Claire und ich kauerten auf dem Rücksitz, die Nase tief in unsere Bücher vergraben. Ich las eines der aus der Nancy-Drew-Reihe, während sich Claire für
Der Fänger im Roggen
entschieden hatte. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie sie immer wieder mal nach Luft schnappte und vor sich hin kicherte. Ich wollte nur allzu gern wissen, was an dem Buch so komisch war. Mom und Dad hörten sich unterdessen eine Kassette von dem Countrysänger George Jones an. Ab und zu langte Dad nach hinten und stupsteuns auf die Knie. »Schaut aus dem Fenster«, sagte er dann jedes Mal. »Ihr verpasst eine wunderbare Aussicht.« Claire und ich taten wie uns geheißen, doch nach einer Minute steckten wir die Nasen wieder in unsere Bücher, da uns Detektivgeschichten und Skandale mehr fesselten als buntes Laub.
    Anscheinend waren wir damals eine glückliche Familie. Jedenfalls war ich glücklich. Aber ich war ja auch erst acht oder neun Jahre alt. Auch Claire kam mir glücklich vor. Doch was wissen Kinder schon über die Erwachsenenwelt, in der man mit Krankheit und Fremdgehen fertig werden muss? In welchem Alter lernt ein Kind eigentlich, dass es sich auf seine Eltern verlassen kann, dass es aber genauso schnell passieren kann, dass sie unter der Last ihres Alltags zusammenbrechen?
    Nur noch ein paar Schritte. Mittlerweile befand ich mich schon auf dem gepflasterten Weg, der zur Eingangstür führte. Irgendwie schien mich die Haustür anzustarren. Mein Herz raste so sehr, dass ich mich fragte, ob es stark genug wäre, dieser Belastung standzuhalten. Ich war wie betäubt. Das war keine gute Idee. Ich war noch nicht so weit, mich dieser Konfrontation zu stellen. Ich war noch nicht darauf vorbereitet zu hören, was er mir zu sagen hatte. Ich drehte mich auf dem Absatz um. Der Anblick meines Autos beruhigte mich sofort.
Die kürzeste Entfernung zwischen zwei Punkten ist eine Gerade.
    In diesem Augenblick öffnete sich die Haustür. Larry trat heraus und ließ vor Schreck den prall gefüllten Müllbeutel fallen. Sein Mund klappte sperrangelweit auf, wie bei einer Handpuppe eines Bauchredners, seine Augen waren so riesig wie Knöpfe.
    »Helen?«, rief er völlig überrascht und starrte mich an, als wäre ich ein Geist.
    »In Fleisch und Blut«, sagte ich idiotischerweise in beiläufigem Tonfall.
    »Du wirst deiner Mutter von Tag zu Tag ähnlicher.«
    »Das ist bestimmt merkwürdig für dich«, sagte ich, weil mir nichts Besseres einfiel.
    »Du bist ihr wie aus dem Gesicht geschnitten.«
    »Früher hieß es immer, ich sähe dir ähnlich.« Als ich noch ein kleines Kind war, dachte ich, das würde bedeuten, ich sähe aus wie ein Mann mit einem Schnurrbart. Also war es wohl Claire, die meiner Mutter zum Verwechseln ähnlich sah.
    »Ist alles in Ordnung bei dir?« Sein Haar war schon fast weiß, nicht mehr nur grau; sein Gesicht voller Falten, erschöpft, und die Haut ledrig, und seine Stimme rauer, als ich sie in Erinnerung hatte. Er trug Jeans und ein Sweatshirt von Green Bay.
    »Ja, schon«, antwortete ich mit sanfter Stimme. »Es tut mir leid, dass ich dich so überfalle, aber ich war zufällig in der Gegend …«
    »Bist du verletzt? Steckst du in Schwierigkeiten?«, wollte er wissen und bückte sich, um den Müllbeutel aufzuheben.
    »Nein, mir geht es gut.«
    »Möchtest du hereinkommen?«
    »Ich kann nicht lange bleiben.«
    Larry musterte mich kritisch und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Seine

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