Töchter auf Zeit
wieder klirrten ihre Armreife leise.
Ich musterte Elle und fragte mich, wie es wohl wäre, so
fröhlich
zu sein, solch auffällige Kleidung zu tragen, so laut zu lachen und so viel Lebensfreude zu versprühen.
»War Kinderkriegen ein Thema in Ihrer Ehe?«
»Die ganze Zeit«, antwortete ich ihr. »Wie beide wollten schon immer eine Familie haben.«
»Nachdem Sie beide die Kochschule besucht haben, sind Sie dann auch alle beide Köche?«
»Tim und mir gehört ein eigenes Restaurant – das Harvest, in der Seventeenth Street.«
»Das Harvest!«, röhrte Elle. »Ich träume noch heute von dem geschmorten Fasan und der Parmesanpolenta.« Und dann setzte sie zu einem ohrenbetäubenden Lachen an, das so heftig war, dass ihr ganzer Körper ins Zucken geriet.
»Stimmt, das ist einfach nur lecker«, gestand ich ein und stellte mir vor, wie die dicke, kräftige Burgundersauce mit der feinen Polenta harmonierte.
Tim und ich sahen einander an und mussten grinsen.
»Erzählen Sie mir doch, wie Sie auf die Idee gekommen sind, ein Kind adoptieren zu wollen.«
Wir sprachen von all den Jahren, in denen wir probiert hatten, schwanger zu werden, von meiner Unfruchtbarkeit, der Fehlgeburt und dem Kinderzimmer, in dem sich überall Staub absetzte.
»Ich will einfach nur Mutter sein«, sagte ich voller Selbstmitleid. Elle Reeses Blicke hatten in etwa dieselbe Wirkung auf mich wie ein Wahrheitsserum. Bei ihr wollte ich mir einfach alles von der Seele reden.
»Wie sind Sie mit Ihrer Unfruchtbarkeit umgegangen? War es für Sie schwer, das zu akzeptieren?«
Ich sah sie an und sagte erst mal nichts. Was hatte sie in mir gesehen? »Zugegeben, ich wollte unbedingt ein eigenes Baby. Und ehrlich gesagt, habe ich meine Trauer um meinen Verlust noch nicht ganz überwunden. Aber ich bin bereit, ein Kind zu adoptieren. Und nicht nur das, es ist mein Herzenswunsch.«
»Erzählen Sie mir von Ihrer Familie.«
»Meine Familie, hm, da wird einfach alles geboten. Mein Vater hat uns verlassen, als wir noch recht jung waren – was nicht nett von ihm war. Aber meine Schwester, sie ist ein paar Jahre älter als ich, hat ihre Verantwortung für mich immer so stolz getragen wie die olympische Fackel. Sie verdient einen Stern in unserer Familiengeschichte. Und Tims Eltern sind einfach nur liebenswert, wirklich.«
»Und wie passt Ihre Mutter in das Bild?«, wollte Elle wissen.
»Meine Mom ist leider aus dem Bild herausgefallen. Sie starb an Krebs, als ich vierzehn war.«
»Das tut mir sehr leid für Sie«, sagte Elle und zog eine Packung Taschentücher aus ihrer Tasche. »Gerade für Sie ist die Aufgabe, ein Kind großzuziehen, eine besondere Herausforderung. Dann wären Sie eine sogenannte ›mutterlose‹ Mutter, also eine Mutter, die ihre eigene schon in jungen Jahren verloren hat. Ich habe erst neulich in einer Studie gelesen, dass diese Mütter auf jeden Fall ›alles richtig machen wollen‹, und das beschäftigt sie mehr als Mütter, deren eigene Mütter noch am Leben sind.«
»Mir ist schon klar, dass ich um jeden Preis eine gute Mutter sein möchte.«
»Wenn die eigene Mutter stirbt, wenn man noch recht jung ist, wie das bei Ihnen der Fall war, dann kann ein eigenes Kind alte Wunden heilen und Ihnen das geben, was Ihnen genommen wurde. Andererseits zwingt Sie ein Kind, sich mit Ihren Dämonen auseinanderzusetzen. Und davor können Sie nicht einfach davonlaufen.«
Wir arbeiteten ein paar Monate mit Elle. Ihrer Erfahrung nach dauerte es etwa 12 bis 14 Monate, bis man sein Kind in den Armen halten konnte, nachdem der Papierkram erfolgreich erledigt war. Im Endeffekt also nur etwas länger als eine Schwangerschaft. Am 1. November schickte die Vermittlungsagentur unsere Unterlagen schließlich nach China und beantragte in unseremNamen, uns ein Kind zu überlassen. Wenn alles nach Plan verlaufen würde, würden Tim und ich in ungefähr einem Jahr nach China fliegen und mit einer Tochter heimkehren.
Die Monate kamen und gingen, eben war noch Thanksgiving und nun schon Weihnachten und Silvester. Mit jedem Tag rückte die Adoption in greifbare Nähe.
Meine Tochter
, es war noch nicht allzu lange her, dass mir diese Worte im Hals stecken geblieben waren, doch jetzt verspürte ich allein schon bei dem Gedanken daran Wärme und ein wohliges Gefühl, als würde gerade ein Sahnebonbon im Mund schmelzen. Jeder Monat brachte uns näher an die Gewissheit, welches Baby für uns bestimmt war. Mit jedem Tag verschwand mein Fixiertsein auf ein
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