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Töchter auf Zeit

Töchter auf Zeit

Titel: Töchter auf Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Handford
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ihr Bett und ließ mein Gesicht knapp über ihrem schweben. »Mom, Mom?«
    Ihre Augenlider zuckten, aber sie öffnete ihre Augen nicht.
    Wir folgten Larry in die Küche, wo er sich ein großes Glas Scotch eingoss.
    »Und?«, wollte Claire voller Ungeduld wissen.
    »Der Eingriff ist gut verlaufen«, sagte er. Die Worte kamen so schwerfällig aus seinem Mund, als würden sie im Schlamm stecken. »Eigentlich sollte sie heute Nacht durchschlafen. Wenn sie aufwacht und Schmerzen hat, das Morphium ist in ihrer Tasche.« Er schaute die ganze Zeit aus dem Fenster, während er mit uns redete. Staubwolken tänzelten in dem dünnen Lichtstrahl.
    »Und was sagen die Ärzte?«, fragte Claire. »Hat der Krebs gestreut?«
    »Nein. Zum Glück sind keine Metastasen vorhanden. Aber eure Mutter muss morgen mit ihrem Hausarzt reden.«
    Claire und ich liefen ihm in den Flur nach. Ohne das Licht anzuschalten, ging er zum Schrank, öffnete ihn und nahm eine Reisetasche heraus.
    »Wohin gehst du?«, wollte Claire wissen.
    »Hört mal, Mädels, alles ist gut. Eurer Mutter geht’s gut.«
    »Du gehst? Jetzt?«, spie Claire die Worte aus sich heraus. Sie konnte es nicht fassen.
    »Deine Mutter und ich haben auf dem Heimweg darüber geredet. Es ist zu anstrengend, dass ich hier bin.«
    »Für wen ist es zu anstrengend?«, bohrte Claire nach.
    »Für jeden von uns«, platzte es aus ihm heraus. Dann strich er sich durchs Haar. »Ich ertrage es nicht, sie so zu sehen, und ich bin mir sicher, dass sie mich nicht ständig um sich haben will, nach allem, was zwischen uns vorgefallen ist.«
    »Wohin gehst du?«, fragte ich.
    »Zunächst zu einem Freund von mir«, antwortete Dad und sah mich kurz an. »Alles wird gut. Eure Mutter schafft das und sie wird morgen mit ihrem Arzt sprechen.«
    Wir gingen alle drei ins Schlafzimmer und warfen einen Blick auf Mom. Sie hatte sich auf die Seite gerollt, ihre Hände umfassten ihr Kinn. Larry stellte die Reisetasche auf dem Bett ab und zog den Reißverschluss auf. Er zog die Schublade des Wäscheschranks auf und warf das Allernötigste in die Tasche: Socken, T-Shirts, Unterwäsche. Dann ging er zum Kleiderschrank und nahm einen Anzug heraus, der noch in der Plastikhülle von der Reinigung steckte.
    Dies würde für uns für immer der Moment sein, in dem unser Vater abgehauen war – diesmal für immer. Das erste Mal hatte er uns vor ein paar Jahren, kurz nach seiner Affäre, verlassen. Dann war er wieder zurückgekommen. Das war, als Mom erfahren hatte, dass sie an Krebs erkrankt war.
    »Dad«, flehte ich mit leiser Stimme. »Wieso lässt du uns im Stich?«
    Er warf erst einen Blick auf mich, dann auf die Tasche und dann auf Mom. Er zog ein langes Gesicht. Dann presste er die Handballen vor die Augen und schüttelte den Kopf. »Ich muss eine Zeit lang für mich allein sein. Ich ruf euch Mädels morgen an. Ich melde mich morgen bei Mom.«
    Er hob die Tasche auf, ging zur Kommode und nahm ein in Silber gerahmtes Foto von Mom, dann eines von Claire und mir, griff nach seiner Kette mit Anhänger, der den Heiligen Christophorus darstellte, und stopfte alles zusammen in das Seitenfach.
    Dad ging an uns vorbei, die Tasche in seiner Hand, die Schultern hingen nach unten. Er legte mir die Hand auf die Schulter und drückte kurz zu.
    »Kannst du nicht bleiben?«, wisperte ich so leise, dass mich niemand hören konnte.
    »Spitzenmäßig«, sagte Claire, die Hände fest in die Hüften gestemmt.
    »Es tut mir leid, Claire, aber was willst du von mir?«
    Ich will, dass du nicht gehst. Ich will, dass Mom aufwacht und wieder gesund ist. Ich will, dass wir eine Familie sind, erinnere ich mich innerlich geschrien zu haben
.
    Doch Claire warf ihm eine ganz andere Antwort an den Kopf. »Es hätte dich treffen sollen!«
    Er nickte ihr zu, als wollte er ihr recht geben, und verließ das Zimmer.

KAPITEL 10
    ´Die drückend stehende Hitze des Augusts endete erst am Monatsletzten, als es einer leichten Brise gelang, sich ihren Weg durch die Feuchtigkeit zu bahnen, die wie eine Mauer in der Luft zu stehen schien. Kurze Zeit später zogen wir leichte Pullover aus dem Schrank und konnten das Fenster nachts geöffnet lassen. Im Oktober fielen die ersten rubinroten Blätter von den Bäumen. Ende des Monats strichen wir zu Halloween mit Maura um die Häuser, die als Jaguar verkleidet bei den Nachbarn Süßes einsammelte. Die Adoption rückte immer näher, und ich versuchte, mich durch ständiges Arbeiten von meiner wachsenden Ungeduld und

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