Töchter auf Zeit
hatten. Wie sie sich kennengelernt haben. Dass sie so viele Gemeinsamkeiten hatten – zumindest am Anfang ihrer Beziehung.«
»Er hat sich vom Acker gemacht, während unsere Mom im Sterben lag.«
»Ja, aber das hat er bestimmt nicht getan, weil er ein schlechter Mensch ist. Ich glaube, er konnte mit der Situation einfach nicht zurechtkommen – eine sterbende Frau, zwei Töchter. Claire, ich glaube wirklich, dass er damit völlig überfordert war.«
»Das waren wir ja wohl alle«, meinte Claire und ihre Stimme brach. Sie sah weg, räusperte sich und holte tief Luft. »Sobald du erst einmal Mutter bist, wirst du wissen, dass du keine andere Wahl hast.« Claire hob die Augenbrauen und sah mich an. »Du machst deinen Job als Mutter. Punkt. Du musst mit allem fertig werden, was über dich hereinbricht. Da gibt es kein Wenn, kein Oder, kein Aber.«
»Das ist deine Art, Claire. Du bist eine starke Frau, aber für dich gibt es nur Schwarz oder Weiß. Doch es gibt sehr viele Leute, die Schwierigkeiten haben, überhaupt zu einer Entscheidung zu gelangen, die oft nicht wissen, was falsch und was richtig ist, und denen es an Durchhaltevermögen fehlt, auch in schwierigen Zeiten zusammenzuhalten. Larry ist garantiert nicht der erste Vater, der abgehauen ist. So was passiert jeden Tag.«
»Ja, das stimmt, aber es ist nicht richtig. Sie sollten bei ihrer Familie bleiben«, fuhr Claire mich mit hochroten Wangen an. »Larry hätte seinen Mann stehen und bei uns bleiben sollen. Das war sein Job als Vater. Welcher Vater verlässt seine Kinder in so einer Krisensituation? Welcher Vater bürdet seiner Tochter eine solche Last auf?« Da Maura jetzt endlich mit ihrem Eis fertig war, nahm Claire sie Huckepack, hielt sie an ihren kleinen Händen fest und schwamm mit ihr zur anderen Seite des Pools.
An dem Tag, an dem unser Vater für immer abhaute, war unsere Mutter operiert worden, da die Ärzte wissen wollten, ob der Krebs bei ihr schon gestreut hatte.
Der Tag hatte begonnen wie so viele andere auch. Mom saß an unserem avocadogrünen Resopal-Küchentisch, trank ihren löslichen Kaffee, blätterte durch die Zeitung und knabberte an einem Milchbrötchen. »Sie wollen sich dieses
Ding
heute Nachmittag mal ansehen«, sagte Mom zu Claire, die ein aufgebügeltes Poloshirt trug, eine Bundfaltenhose und Slippers. Ihre Haare hatte sie sorgfältig in einem Pferdeschwanz zusammengefasst.
Ich weiß noch genau, wie mich der Begriff »Ding« aufregte. Es machte mich damals rasend, dass Mom es nicht fertig brachte, das Wort »Krebs« in den Mund zu nehmen. Und es machte mich rasend, dass Mom immer nur mit Claire sprach, als ob ich mit meinen dreizehn Jahren noch zu jung wäre, den Ernst der Lage zu verstehen.
»Ich weiß«, sagte Claire. »Ich habe eine Kopie deiner Einweisungspapiere in meinem Geldbeutel.«
»Können wir nicht mit?«, jammerte ich und stellte meine Müslischüssel neben Moms Tasse. Sie zog mich zu sich und schlang ihre Arme um meinen dürren Körper, der in dem viel zu großen schwarzen T-Shirt noch dürrer wirkte, und küsste mich auf den Nacken. »Das ist nicht nötig, mein Schatz. Ich bin nach dem Abendessen wieder da. Dad ist die ganze Zeit bei mir.«
»Du wirst sehen, es ist alles in Ordnung«, sagte Claire in ihrem Erwachsenen-Tonfall, mit dem sie alle beruhigen wollte. »Alles wird gut. Mach schon, Helen, dann kann ich dich gleich in die Schule fahren und du brauchst nicht den Bus zu nehmen.«
Ich kann mich noch genau erinnern, dass mich dieser rechthaberische Ich-weiß-alles-Tonfall von Claire so was von wütend gemacht hatte, dass ich sie verdammt gern angebrüllt hätte, aber ich wollte auch bequem mit dem Auto gefahren werden und hielt deshalb meinen Mund.
Zum Abendessen wärmte Claire den Hähnchenauflauf vom Vorabend auf und wir saßen mit unserem Teller auf den Knien vor dem Fernseher und sahen uns eine Wiederholung von
Cheers
an. Mir schmeckte der Auflauf überhaupt nicht, für mich war es eine eklige Pampe aus Huhn, Cashewkernen und Ananas. Gegen sieben Uhr hörten wir, wie Dad die Haustür aufsperrte. Claire und ich sprangen auf und rannten ihnen entgegen. Er brachte Mom gleich ins Bett. Sie war völlig erledigt, erschöpft und stark benommen.
»Sie haben sie in diesem Zustand entlassen?«, fragte Claire Dad.
»Nein, als wir gingen, war sie wach, aber während der Fahrt hat sie Schmerzen bekommen und hat dann eine Schmerztablette genommen. Und die hat sie sofort umgehauen.«
Ich kniete mich neben
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