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Toechter Aus Shanghai

Titel: Toechter Aus Shanghai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa See
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auch sind, wir gehen an ihnen vorbei. Zu viele dieser Verkäufer versuchen ihre Melonen schwerer zu machen und spritzen ihnen Wasser aus dem Fluss oder aus den Bächen ein. Mit einem einzigen Biss kann man sich die Ruhr, Typhus oder Cholera holen.
    Wir erreichen das »Casanova«, wo später Freunde zu uns sto ßen werden. Man erkennt May und mich als Kalendermädchen, daher bekommen wir einen guten Tisch neben der Tanzfläche. Wir bestellen Champagner, und Z. G. fordert mich zum Tanzen auf. Ich mag es, wie er mich hält und herumwirbelt. Nach zwei Tänzen werfe ich einen Blick zu unserem Tisch hinüber, wo May alleine sitzt.
    »Du solltest vielleicht auch mal meine Schwester auffordern«, sage ich.
    »Wenn du das willst«, antwortet er.
    Wir tanzen zurück an unseren Tisch. Z. G. nimmt May an der Hand. Das Orchester spielt ein langsames Stück. May legt ihm den Kopf an die Brust, als lauschte sie seinem Herzschlag. Z. G. führt May elegant zwischen den Tanzpaaren hindurch. Einmal treffen sich unsere Blicke, und er lächelt. Meine Gedanken sind so typisch für ein Mädchen: unsere Hochzeitsnacht, unser Eheleben, unsere gemeinsamen Kinder.
    »Da bist du ja!« Jemand küsst mich auf die Wange. Als ich aufblicke, steht meine Schulfreundin Betsy Howell vor mir. »Wartest du schon lange?«
    »Wir sind gerade erst gekommen. Setz dich doch! Wo ist der Kellner? Wir brauchen noch Champagner. Hast du schon gegessen?«
    Betsy und ich sitzen eng nebeneinander, stoßen an und trinken unseren Champagner. Betsy ist Amerikanerin. Ihr Vater ist Mitarbeiter des Außenministeriums. Ich mag ihre Eltern, weil
sie mich mögen und nicht versuchen, Betsy daran zu hindern, mit Chinesen zu verkehren, wie es so viele andere ausländische Eltern tun. Betsy und ich haben uns in der Missionsstelle der Methodisten kennengelernt, wo sie hingeschickt wurde, um den Heiden zu helfen, und ich, um die Umgangsformen des Westens zu lernen. Ob sie meine beste Freundin ist? Eigentlich nicht. Meine beste Freundin ist May. Betsy kommt erst an zweiter Stelle.
    »Du siehst aber heute hübsch aus«, sage ich. »Was für ein schönes Kleid du anhast.«
    »Na klar! Du hast mich doch beim Kauf beraten. Ich würde aussehen wie ein Trampel, wenn ich dich nicht hätte.«
    Betsy ist ein bisschen pummelig und außerdem mit einer vernünftigen amerikanischen Mutter geschlagen, die sich mit Mode überhaupt nicht auskennt. Deshalb bin ich mit Betsy zu einer Schneiderin gegangen, die ihr ein paar anständige Sachen genäht hat. Heute trägt sie ein Etuikleid aus zinnoberrotem Satin mit einer Brillant-Saphir-Brosche über der linken Brust. Blonde Locken fallen ihr über die sommersprossigen Schultern.
    »Schau doch mal, wie süß!« Betsy nickt zu Z. G. und May hinüber.
    Wir sehen ihnen beim Tanzen zu, während wir über unsere Schulfreundinnen tratschen. Als das Stück zu Ende ist, kommen May und Z. G. zurück an den Tisch. Er hat Glück, heute Abend in Gesellschaft von drei Frauen zu sein, und er macht es genau richtig, tanzt nacheinander mit jeder von uns. Gegen ein Uhr kommt endlich Tommy Hu. May steigt die Röte in die Wangen, als sie ihn sieht. Mama hat mit seiner Mutter jahrelang Mah-Jongg gespielt, und sie haben immer darauf gehofft, dass es zwischen unseren Familien eines Tages eine Verbindung geben wird. Mama wird begeistert sein, wenn sie von diesem Treffen hört.
    Um zwei Uhr morgens treten wir wieder hinaus auf die Straße. Es ist Juli, heiß und feucht. Alle sind noch wach, selbst Kinder und Greise. Es ist Zeit für einen Imbiss.
    »Kommst du mit?«, frage ich Betsy.

    »Ich weiß nicht. Wohin geht ihr?«
    Alle schauen Z. G. an. Er nennt ein Café in der Französischen Konzession, das als Treffpunkt für Intellektuelle, Künstler und Kommunisten bekannt ist.
    Betsy zögert nicht. »Dann los! Nehmen wir den Wagen meines Vaters.«
    Das Shanghai, das ich liebe, ist eine Stadt, die im Fluss ist, wo sich die interessantesten Menschen treffen. Manchmal nimmt mich Betsy mit, und wir bestellen amerikanischen Kaffee, Toast und Butter; manchmal führe ich Betsy in irgendwelche Gassen, wo es hsiao ch’ih gibt - Leckereien wie in Blätter gewickelten Klebreis oder Kuchen aus Zimtblüten und Zucker. Betsy ist abenteuerlustig, wenn sie mit mir zusammen ist, und hat mich einmal sogar in die chinesische Altstadt begleitet, um billige Weihnachtsgeschenke einzukaufen. Ich scheue mich manchmal, in die Parks der Internationalen Siedlung zu gehen. Bis zu meinem zehnten Lebensjahr

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