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Toechter Aus Shanghai

Titel: Toechter Aus Shanghai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa See
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»Aber schaut euch mal um. Hier sind fast nur Frauen, bis auf die kleinen Jungen, die ihre
Mutter brauchen. Für uns ist das doch ein Glück verheißendes Ereignis.«
    »Viel Glück verspricht das aber nicht, wenn das Kind weiter solche Sachen trägt«, sagt eine der Frauen düster.
    Ich betrachte die Kleine. Was sie anhat, sind die ersten Kleidungsstücke, die May und ich je angefertigt haben. Die Verschlüsse sind krumm, das Strickmützchen sitzt schief, doch darum geht es offenbar gar nicht. Das Kind muss vor schlechten Elementen geschützt werden. Die Frauen verschwinden und kehren mit Münzen zurück, die sie uns als Symbol für die Anteilnahme von »hundert Freunden der Familie« schenken. Jemand bindet dem Baby einen roten Faden in die schwarzen Haare, das soll Glück bringen. Nacheinander nähen die Frauen dann kleine Anhänger mit Tierkreiszeichen an das Mützchen und die anderen Anziehsachen, die wir gefertigt haben, um die Kleine vor bösen Geistern, schlechten Omen und Krankheiten zu schützen.
    Es wird gesammelt, und jemand wird auserwählt, das Geld einem der chinesischen Köche zu geben, damit er aus eingelegten Schweinefüßen, Ingwer, Erdnüssen und irgendeinem verfügbaren Schnaps eine Kraftbrühe für Mütter kocht. (Shaohsing-Wein wäre am besten, aber Whisky geht auch, wenn er nichts anderes hat.) Eine Frau, die gerade ein Kind bekommen hat, ist erschöpft und hat zu viel kaltes yin. Die meisten Zutaten der Kraftbrühe gelten als heiß und bauen das yang auf. Die Frauen erklären mir, dass dadurch die Gebärmutter schrumpft, gestocktes Blut aus meinem Körper entfernt wird und die Milch einschießt.
    Eine der Frauen streckt plötzlich die Hand aus und knöpft mir die Jacke auf. »Du musst das Kind stillen. Wir zeigen dir, wie es geht.«
    Sanft schiebe ich ihre Hand zur Seite.
    »Wir sind jetzt in Amerika, und meine Tochter ist amerikanische Staatsbürgerin. Ich mache es so, wie es die Amerikaner machen.« Und auch die modernen Frauen in Shanghai , denke ich bei mir und erinnere mich daran, wie oft May und ich für Babymilchpulver
Werbung gemacht haben. »Sie bekommt Milchpulver.«
    Wie immer übersetze ich vom Sze-Yup- in den Wu-Dialekt, damit May alles versteht.
    »Sag ihr, die Flaschen und das Pulver sind in einem Paket unter dem Bett«, erklärt May rasch. »Sag ihr, ich will dich nicht allein lassen, aber ich wäre dankbar für Unterstützung.«
    Während eine der Frauen eine Flasche nimmt und etwas Milchpulver hineingibt, das wir am Kiosk gekauft haben, es mit Wasser aus der Teekanne mischt und die Flasche zum Abkühlen auf das Fensterbrett stellt, diskutieren Lee-shee und die anderen darüber, welchen Namen das Kind bekommen soll.
    »Konfuzius hat gesagt, wenn der Name nicht der richtige ist, dann stehen Sprache und Gesellschaft nicht im Einklang mit der Wahrheit der Dinge«, erklärt Lee-shee. »Der Großvater oder jemand von hohem Ansehen muss den Namen des Kindes bestimmen.« Sie spitzt die Lippen, sieht sich um und bemerkt theatralisch: »Aber so jemanden kann ich hier nicht entdecken. Vielleicht ist das ja auch egal. Du hast eine Tochter. Wirklich schade! Du wirst sie doch wohl nicht Floh, Hund oder Kehrschaufel nennen wollen, wie mein Vater mich genannt hat.«
    Die Namensgebung ist wichtig, aber Frauen haben da kein Mitspracherecht. Jetzt haben wir die einmalige Gelegenheit, einem Kind einen Namen zu geben - noch dazu einem Mädchen -, stellen jedoch fest, dass es viel schwieriger ist als gedacht. Wir können das Mädchen nicht nach meiner Mutter benennen und nicht einmal zu Ehren unseres Vaters den Familiennamen verwenden, denn das gilt als Tabu. Wir können ihr auch nicht den Namen einer Heldin oder einer Göttin geben, da das anmaßend und respektlos wäre.
    »Jade gefällt mir gut, das vermittelt Stärke und Schönheit«, schlägt eine junge Frau vor.
    »Ich finde die Blumennamen hübsch. Orchidee, Lilie, Iris...«
    »Ach, das sind aber sehr gewöhnliche Namen, viel zu nichtssagend«,
widerspricht ihr Lee-shee. »Denkt doch mal daran, wo dieses Mädchen geboren wurde. Meint ihr nicht, sie sollte einen Namen wie Mei Gwok bekommen?«
    Mei Gwok bedeutet Schönes Land , der offizielle kantonesische Name für die Vereinigten Staaten, nur klingt es weder melodiös noch hübsch.
    »Man kann nichts falsch machen, wenn man einen Generationennamen mit zwei Zeichen nimmt«, schlägt eine andere Frau vor. Das gefällt mir ganz gut, denn May und ich tragen beide den Generationennamen Long -

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